Er richtet gern mit der grossen Kelle an, und die zeitgenössische Musik liegt ihm nicht wirklich am Herzen. Noch ein paar andere Vorwürfe kann man dem Intendanten der Salzburger Festspiele machen, aber ab und zu hat Alexander Pereira doch eine Vision, für die er so gut wie alles tut. Bei ihm ist das «Fierrabas», die grosse romantische Oper von Franz Schubert.
«Eine Stunde, nachdem man mir die Leitung der Salzburger Festspiele übertragen hatte, wusste ich bereits, dass ich diese Oper von Schubert in Salzburg zeigen werde. Gut nur», fügt er nicht ganz ohne Selbstironie hinzu, «dass ich dafür die Saison 2014 ausgewählt habe. Es hätte auch die nächste oder übernächste sein können, dann aber hätte ich blöd durchs Rohr geschaut.» Pereira kokettiert hier mit seinem vorzeitigen und unfreiwilligen Abgang am Ende dieser Saison.
Erste Schubert-Oper in Salzburg
Immerhin, er hat es getan, keine Kosten gescheut und die besten Leute nach Salzburg geholt. Zum ersten Mal überhaupt wird hier eine Schubert Oper gespielt, damit will er Geschichte schreiben, sagt Pereira unumwunden.
Ingo Metzmacher, der musikalische Leiter, ist überzeugt, dass Opernschreiben Schubert ganz grundsätzlich am Herzen lag. Warum bloss sollte einer seine Schaffenskraft damit verbringen – Schubert schrieb in seinem kurzen Leben insgesamt 20 Opern –, wenn er das Genre gar nicht mögen würde oder es ihm nicht liege? Oder, wie das Vorurteil so oft laut wird, «wenn einer so überhaupt kein Gespür für dramatische Situationen hat»?
Auf die dramaturgischen Schwächen angesprochen, kontert Metzmacher: «Das haben sie alle! Sagen Sie mir eine einzige Oper, die das nicht hat.» Und in der Tat: Verdis Geschichten sind wild, und bei Mozarts «Zauberflöte» zieht es sich ganz schön in die Länge, bis am Schluss alle Knoten aufgelöst sind.
Weiche und strahlend harte Tonarten
Metzmacher macht sich vor allem stark für die Musik, die in «Fierrabras» steckt; zahlreiche Juwelen hat er gefunden: Schubert probiert neue Formen aus, arbeitet mit gesprochenem Text und Melodramen und charakterisiert die verschiedenen Welten mit weichen oder strahlend harten Tonarten. Gleich in der Ouvertüre ein Aufhorcher: Aus dem Nichts beginnt es, kommt in einem riesigen Crescendo herangerollt, und springt auf dem Höhepunkt in einen so unerwarteten Akkord hinein, dass man mehr als verwundert zusammenzuckt.
Das Libretto, das Josef Kuppelwieser für Schubert schreibt, ist ein Kind seiner Zeit: Es geht um den romantischen Blick des frühen 18. Jahrhunderts auf das Mittelalter, auf die Ritterzeit und auf ihre Ideale von Tugend und Ehre. Zwei Weltreligionen, zwei Königshäuser sind miteinander im Krieg.
Die christliche Welt König Karls hat eben die muslimische Welt des maurischen Fürsten Boland besiegt. Aber die Kinder der Herrscher tun nicht gut. Emma, Karls Tochter, verliebt sich in einen Troubadour, was definitiv unter Stand und Würde ist, und Florinda, die Tochter des Mauren, verliebt sich in den Kreuzritter Roland und ist dafür bereit, Vater, Glaube und Heimat zu verlassen.
Anti-Held in Gefangenschaft feindlicher Truppen
«Fierrabras», dessen Name aus dem Französischen kommt und eigentlich «Fier-à-bras» – stolzer oder mächtiger Arm – bedeutet, geht dabei leer aus. Schlimmer noch: Er ist ein richtiger Anti-Held. Erst wird er von den feindlichen Truppen gefangen genommen, dann verliebt er sich auch noch in die falsche Frau. Er steht allein und im Abseits, wenn sich am Ende dann doch die Väter einsichtig zeigen und ihren Kindern nicht vor dem Glück stehen.
Peter Stein hat in Salzburg die Regie übernommen und sich von vornherein aus der Diskussion um Christen und Muslime herausgehalten. Diese Geschichte um sieben Ecken herum zu aktualisieren, das interessiert ihn nicht. Hingegen tut er alles, um die Musik ins Zentrum zu rücken. Also stellt er eine Art Aufklapp-Theater hin, wie wir es noch von Bastelbögen kennen, und belebt es dann mit «Tableaux vivants»: Die Sängerinnen und Sänger stellen sich zu verschiedenen Bildern gruppiert in die Dekoration. Ein Gesellschaftsspiel, das man übrigens schon zu Schuberts Zeiten gerne spielte.
Anstelle von Dramatik und Bewegung führt uns Stein mit seinem Konzept ins frühe Biedermeier zurück, setzt uns Schuberts Brille auf und lässt uns mit dieser Optik aufs Mittelalter blicken.