Bis vor wenigen Jahren verlief die klassische Musikerkarriere so: von der Musikhochschule, über berühmte Lehrer und Wettbewerbe, bis zu internationalen Bühnen und Plattenverträgen. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Den Klassiklabels geht es mehr schlecht denn recht, und das Publikum in den Konzertsälen vergilbt im gleichen Tempo wie die Teppiche. Was tun?
Ein neuer Weg
Die Geschichte der knapp 40-jährigen Pianistin Valentina Lisitsa aus Kiew liest sich wie eine Parabel für einen neuen Weg: Eine begabte junge Pianistin emigriert anfangs der 90er-Jahre in die USA mit dem Ziel, ihre Musikerkarriere zu lancieren. Es mangelt weder an Talent noch an Repertoire und dennoch will die Laufbahn nicht in Schwung kommen.
Die Jahre vergehen, die Konzerteinladungen bleiben rar. Das dünn gesäte Klassikpublikum ist gealtert und gesättigt. Der Erfolg lässt auf sich warten – bis zu jenem Tag im Jahre 2007, als Lisitsa im Internet die Plattform YouTube entdeckt.
Ein Video mit grossen Folgen
Sie lädt – mehr aus Jux denn aus Ernst – ein Video hoch, in dem sie auf einem leicht verstimmten Klavier eine Rachmaninow-Etüde spielt. Festgehalten mit einem mittelmässigen Mikrofon und einer wackligen Kamera. Das Ganze also etwas «trashig» in der Aufmachung, aber mit sehr viel Verve und Feuer gespielt – und das ist das Entscheidende, das Authentische.
Was dann geschieht ist mehr als erstaunlich. Das Video wird zu einem Riesenerfolg und Lisitsa lädt weitere hoch. So entsteht allmählich ein eigener kleiner Klassik-Kanal im Internet. Bis heute haben über 62 Millionen Menschen Lisitsa online Klavier spielen gehört und gesehen. Man stelle sich das vor: Die Pianistin spielt quasi jeden Tag in einem Fussballstadion voller Leute, 50'000 an der Zahl.
Plattenfima folgt der Community
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Heute kann die Internet-Community (wenn sie will) ihre Stars also selber küren und im Nachhinein die Plattenfirmen zum Handeln zwingen, wie im Falle von Valentina Lisitsa. Sie steht unterdessen bei Decca unter Vertrag. Ein demokratisch legitimierter Star wurde geboren.
Trotz allem: Auch heute noch passiert das musikalisch wirklich Entscheidende laut Lisitsa nicht im Internet, sondern im Konzertsaal. Für ein emotional grosses Musikerlebnis braucht es Nähe, braucht es den Moment und die gemeinsame Konzentration auf eine Sache. Und die gibt es weder auf CD, noch im Internet, noch im Fernsehen. Das eigentliche Ziel bleibt also, die jungen Leute in die Konzertsäle zu locken. Auch das hat Valentina Lisitsa unterdessen geschafft.