Einmal ist keinmal. Und so liegt man nicht ganz falsch mit der Behauptung: In Frankreich gibt es keine Komposition für Streichquartette. Aber: Wenigstens ein einziges Mal wollten es die meisten französischen Komponisten doch wissen: Was ist an dieser Gattung für (nur) vier Streichinstrumente dran? Einer Gattung, die im deutschsprachigen Kulturraum so eifrig gepflegt wird? Und so schrieben sie jeweils ein Streichquartett: Debussy und Ravel, Fauré und Roussel, und der so produktive Saint-Saëns brachte es sogar auf zwei.
Ausnahmen bestätigen die Regel
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Aber halt! Es gibt einige kleinere Ausnahmen (darunter etwa der aus der Schweiz stammende Arthur Honegger mit drei Quartetten) und auch eine ganz grosse Ausnahme: Der französische Komponist Darius Milhaud war schon als junger Mann entschlossen, ebenso viele Quartette zu schreiben wie Beethoven, nämlich 18 – und schaffte das auch.
1912 legte der gerade 20-jährige Milhaud los, und mit diesem Opus 5 eröffnet das Schweizer Quartett Galatea seine CD. Glücklicherweise hält es sich dabei nicht an den (unverständlichen) Vorschlag des Komponisten, den dritten Satz wegzulassen, und spielt das Werk integral.
Natürlich hatte der junge Komponist seine Vorbilder, und bei diesem Werk diente sicher Debussys Streichquartett – ebenfalls von Galatea interpretiert – von 1893 als solches. Zumindest dessen Idee einer zwar harmonisch reichen, aber dennoch von «clarté» geprägten Musik.
Paul Cézanne als Vorbild
Milhaud hatte jedoch noch ein anderes Vorbild: Sein Werk ist dem Maler Paul Cézanne gewidmet, der wie der Komponist aus Aix-en-Provence stammt.
Und was die Interpretation betrifft: Vielleicht ist etwas von Milhauds südfranzösischer Energie und jugendlichem Enthusiasmus in die Interpretation von Debussys eher zurückhaltend interpretierter Musik eingeflossen.
Der eigentliche Überraschungscoup
Während Debussys Quartett heute sehr und dasjenige von Milhaud einigermassen bekannt ist, stellt das dritte Werk auf der CD von Galatea einen Überraschungscoup dar. Es folgt nämlich die «Sonatine» für Streichquartett des gänzlich unbekannten Pierre Menu. Der damals hoffnungsvoll beachtete Jungkomponist (1896–1919) starb an den Folgen einer Gasvergiftung – ein Opfer des Ersten Weltkriegs.
Sein kleines Werk ging in der Folge gänzlich vergessen, auch in Frankreich. So sorgt schon der Umstand für Überraschung, dass Pierre Menus Wiederentdeckung ausgerechnet von einem jungen Schweizer Quartett befördert wird.
Ein Ausblick in die Moderne
Auch Menus Quartett von 1916 orientiert sich an demjenigen Debussys, das mittlerweile – 30 Jahre nach seiner Uraufführung – zum Klassiker geworden war. Allerdings deutet der höchst unkonventionelle Titel «Sonatine» und die Zahl von nur drei Sätzen schon an, dass es sich auch um ganz persönliche Musik handelt. Drei Komponisten, drei Werke also aus der «Belle Époque». Und alle sprechen bereits deutlich die Sprache der beginnenden Moderne.