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Weltklasse – Sommerkonzerte Claudio Abbado beim Lucerne Festival – warum er der «Maestro» ist

Auch dieses Jahr eröffnet Claudio Abbado das Lucerne Festival – der Dirigent, der weder an den Festivals in Salzburg noch in Bayreuth auftritt. Und der heute, im Alter von 80 Jahren, zu den Grossen seines Fachs zählt. Ein Porträt des Dirigenten, der mit der Schweiz besonders verbunden ist.

SRF beim «Lucerne Festival»

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Legende: Keystone

Das «Lucerne Festival» feiert am 24./.25. August Geburtstag – es soll ein Fest für alle sein, mit Konzerten, Performances, Filmen und vielem mehr im und rund ums Kultur- und Kongresszentrum KKL. SRF Kultur ist mit einem mobilen Studio zwei Tage lang live mittendrin. Mehr Informationen zum Programm: lucernefestival.ch

«Stille kann ohrenbetäubend sein.» So erlebte ein Kritiker die minutenlange Stille, mit der das Publikum des Lucerne Festivals reagierte, als Claudio Abbado seine Interpretation von Mahlers Neunter Sinfonie beendete – kein knalliger Applaus, sondern tiefste Stille. Wer nicht dabei war, kann das übrigens auf DVD fast so intensiv nacherleben.

Am Rand der Stille

Tatsächlich gelingt Claudio Abbado gerade auch mit dem Lucerne Festival Orchestra oft das, was in der Musik eigentlich immer passieren müsste, jedoch sehr selten geschieht: jene Momente, in denen die Musik das Musizieren hinter sich zurücklässt. Also abzuheben, zu fliegen.

Oder umgekehrt: den Klang im Pianissimo ersterben zu lassen, bis hin zu einem «niente» am Rand der Stille. So wie sie Abbado auch in der Schneelandschaft des Engadiner Fextals erlebt, wo er seine Ferien verbringt. Wobei «Ferien» lange Spaziergänge bedeuten, auf denen er sich die Musik durch den Kopf gehen lässt.

Ein Dirigent in einer anderen Liga

Zweifellos finden sich diese Momente hauptsächlich in Abbados Interpretationen aus den letzten 15, 20 Jahren. Vielleicht sogar erst aus der Zeit nach seiner Krebserkrankung im Jahr 2000. Nach ihr macht sich der Dirigent noch rarer als zuvor, gibt nur wenige Konzerte pro Jahr und konzentriert sich auf einige wenige Komponisten: Mahler vor allem, dann die deutsche Sinfonik von Beethoven und Schubert bis Bruckner und Brahms, dazu Werke von Debussy und der Wiener Schule.

So kann man – vielleicht etwas kühn – sagen: Gäbe es sein Schaffen aus der jüngsten Zeit (und die Aufnahmen aus dieser) nicht, so wäre Abbado ein Dirigent in einer Liga mit manch anderen – aber nicht der «Maestro», der er mit 80 heute ist.

Die frühen Jahre

Nicht dass es aus früheren Jahren keine bemerkenswerten Dokumente seiner Interpretationskunst gäbe. Schon 1967, also aus Abbados ganz frühen Jahren, stammt eine Aufnahme, in der er zusammen mit der grandiosen Martha Argerich und den Berliner Philharmonikern Prokofievs Drittes Klavierkonzert und Ravels G-Dur-Konzert interpretiert. Wenig später entstand 1971 mit den Wiener Philharmonikern die klangsinnliche Aufnahme mit Orchesterwerken Alban Bergs. Aus der Zeit an der Mailänder Scala stammen exemplarische Verdi-Aufnahmen («Macbeth», «Simon Boccanegra»), es folgen Einspielungen von Rossinis «Viaggio a Reims», «Barbiere di Sevilla» und «La Cenerentola». Verglichen damit sind Abbados Einspielungen der Sinfonik von Beethoven bis Mahler aus dieser Zeit eher enttäuschend.

Abbados frühe Aufnahmen dokumentieren auch, wie schnell der Dirigent sich damals im europäischen und auch amerikanischen Musikbetrieb etablieren konnte. Nach dem Studium in Mailand und Wien wurde er Assistent von Leonard Bernstein. Dann, nach ersten Erfolgen, wurde er Chefdirigent beim London Symphony Orchestra und an der Mailänder Scala, für wenige Jahre auch an der Wiener Staatsoper, bis er 1989 Nachfolger von Herbert von Karajan bei den Berliner Philharmonikern wurde.

Abbado applaudiert mit Dirigentenstab in der Hand einem Musiker
Legende: Claudio Abbado - der Dirigent, der auf Kommunikation und Wertschätzung setzt Keystone

Abbado folgt auf Karajan

Gross war damals die Überraschung, denn das Orchester sprang mit dieser Wahl über den eigenen Schatten, wählte nicht nochmals einen «Diktator» der alten Schule und Tradition, sondern einen Dirigenten, der sich als Kommunikator verstand. Der die Musiker bei den Proben nicht instruierte, sondern sie aufforderte, einander zuzuhören – und danach alles auf die Konzerte setzte. Möglicherweise ging Abbado damit aber auch zu weit: Dieser Arbeitsstil habe das Orchester nicht genug gefordert, ist aus dieser Zeit zu hören, und hätte Abbado den Vertrag nicht von sich aus auf 2002 gekündigt, so hätte das möglicherweise das Orchester getan.

Wie auch immer: Vorher gelang den beiden Partnern noch eine Meisterleistung mit der Gesamtaufnahme von Beethovens Sinfonien, bereits Abbados dritter. Bezeichnenderweise wurden dafür Konzerte mitgeschnitten – nicht etwa in Berlin, sondern in der Accademia nationale di Santa Cecilia in Rom. Die Einspielung dokumentiert eine gültige Synthese aus der alten sinfonischen und der neuen historisierenden Interpretationsweise – und darüber hinaus die Pluspunkte einer Kombination von Konzertaufnahmen mit späteren Korrekturen.

Die Hinwendung zu frei schaffenden Orchestern

In diesen Einspielungen zeigt sich bereits auch Abbados Entwicklung der späteren Jahre: die Hinwendung zu frei schaffenden Orchestern wie dem Chamber Orchestra of Europe und dem Gustav Mahler Jugendorchester, sowie die Gründung des Lucerne Festival Orchestra 2003 und zuletzt des Orchestra Mozart. Im Lucerne Festival Orchestra kommen jeweils für die Eröffnungskonzerte des Festivals ausgewählte Musikerinnen und Musiker aus verschiedenen Generationen zusammen. Eine Arbeitsmethode und ein Musizieren auf der Basis persönlicher Freundschaft sei das, hört man oft. Allerdings auch, dass es dabei in jedem Moment um Spitzenleistungen gehe – sonst könne es auch mal Ärger mit dem Maestro geben.

Mit dem Lucerne Festival Orchestra hat Abbado mittlerweile sämtliche Sinfonien Gustav Mahlers aufgeführt und auf DVD aufgenommen, bezeichnenderweise ohne die aufwändig besetzte Achte. Diese Luzerner Konzertaufnahmen sind zusammen mit den späteren aus der Berliner Zeit wohl Abbados definitives Wort zu dieser Musik. Das Orchestra Mozart dagegen widmet sich dem Repertoire der Wiener Klassik aus der Sicht einer historisierenden Aufführungspraxis, wie sie Abbado sich angeeignet hat. Schliesslich studierte er in den 60er-Jahren in Wien, als ein gewisser Nikolaus Harnoncourt von sich reden machte.

Ein Maestro mit sozialem Interesse

Von sich selbst reden machte Abbado auch noch mit anderem, etwa mit seinem Interesse für die zeitgenössische Musik, die er beim Festival «Wien modern» pflegte, und mit seiner Freundschaft mit dem linken italienischen Komponisten Luigi Nono. Ein «Salonkommunist» an der Spitze der europäischen Luxusorchester sei er, hiess es hie und da spöttisch. Dass auch Abbado soziale Themen wahrnimmt, zeigte sich vor ein paar Jahren: 1986 hatte er der Mailänder Scala den Rücken gekehrt. Nun versprach er, wieder zurückzukommen – wenn in Mailands Innenstadt einige Tausend Bäume gepflanzt würden.

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