Ein Klavier, Gitarren, Schlagzeug, ein Cello: Im Studio der Geschwister Baldenweg in Zürich stehen überall Instrumente herum. An den Wänden hängen Plakate ihrer Filme. Lionel Baldenweg, der Älteste, gibt eine Studioführung.
«Der erste Teil der Arbeit entsteht hier», sagt er und zeigt auf einen Computer mit riesigem Bildschirm. Er zieht ein Ringbuch im Grossformat aus dem Schrank: «Die kleine Hexe» steht auf dem Cover. Lionel blättert sie durch: «Das alles hat das Orchester eingespielt».
«Die kleine Hexe» ist einer der vielen Filme, zu dem die Geschwister Baldenweg die Musik komponiert haben. 2018 wurde sie beim Schweizer Filmpreis als beste Filmmusik ausgezeichnet. Ausserdem steht «Zwingli» auf ihrer langen Liste, die Netflix-Serie «The Unlisted» oder der oscarnominierte Kurzfilm «La femme et le TGV» mit Jane Birkin. Ihr letztes Projekt war «In the Land of Saints and Sinners» mit Liam Neeson.
Angefangen hat alles mit der Familienband
Die Baldenwegs sind eine Künstlerfamilie: Mutter Marie-Claire ist Malerin, Vater «Pfuri» Mundharmonikaspieler. Als Teil der Band «Pfuri, Gorps & Kniri» war er in den 1970er-Jahren ein Popstar in der Schweiz. Zusammen mit ihren Kindern haben die Eltern in einer Blues-Punk-Band gespielt.
Später haben sich die Geschwister dem Komponieren zugewendet. «Sehr autodidaktisch», sagt Diego. Schnell kamen die ersten Kompositionsaufträge, erst für die Werbung, dann für den Film. Mittlerweile komponieren sie seit 20 Jahren im Trio und haben ein eigenes Label.
Ein eingespieltes Team
Die Geschwister haben eine klare Aufgabenverteilung: Diego ist der Hauptkomponist, Lionel und Nora die Co-Komponistinnen. Nora sieht sich ausserdem «als ein Bindeglied zwischen meinen Brüdern» – zwischen Diego, der künstlerisch die Zügel in der Hand hält, und Lionel, der die kreative Vision umsetzt und die Organisation und Kommunikation übernimmt.
Beim Komponieren wollen sie sich nicht auf einen Stil festlegen, sondern den Sound schaffen, der zum jeweiligen Drehbuch passt. «Wir erfinden uns bei jedem Projekt neu», sagt Diego. Lionel ergänzt: «Wir springen ständig ins kalte Wasser. Da ist es als Ausgleich gut, dass wir Geschwister so vertraut miteinander sind.»
Western trifft auf irische Musik
Auch bei «In the Land of Saints and Sinners» hat sich das Trio auf unbekanntes Terrain gewagt: «So ein Drehbuch hatten wir noch nie gelesen», erinnert sich Lionel Baldenweg, «ein Thriller mit Western-Feeling, der im Irland der 1970er-Jahre spielt. Eine spannende Ausgangslage.»
Also hat Diego sich in traditionelle irische Musik vertieft. «Aber erst als wir nach Irland gereist sind, hat es wirklich Klick gemacht», erzählt der Komponist. Für den Western-Sound sollte wiederum eine Mundharmonika sorgen.
Die Arbeit zahlt sich aus
Klar, dass die Geschwister dafür ihren Vater Pfuri ins Boot geholt haben. «Er kam mit 50 Mundharmonikas ins Studio», erinnert sich Diego, «und dann haben wir unglaublich viel herumprobiert. Teilweise bis fünf Uhr morgens!» Am Ende ist die Mundharmonika fast zu einem eigenen Filmcharakter geworden.
Die Musik zu «In the Land of Saints and Sinners» findet international Anerkennung. Wenn am Mittwoch in Gent die «World Soundtrack Awards» verliehen werden, haben die Baldenwegs gleich doppelte Gewinnchancen. Sie sind sowohl als Entdeckung des Jahres nominiert als auch für den Publikumspreis. Ihre Konkurrenz: ein gewisser Hans Zimmer.