Der 2001 verstorbene George Harrison war das Küken der «Fab Four» – und wurde vom Duo Lennon/McCartney offenbar auch so behandelt. Die beiden sollen wenig Spielraum für Harrison als Songwriter gelassen und seine Songs abgelehnt haben, besonders zu Beginn.
Dabei stammen einige der beliebtesten Beatles-Songs aus seiner Feder: « Here Comes The Sun» ist der meistgestreamte Beatles-Song auf Spotify. «Something» war für Frank Sinatra der grösste Lovesong aller Zeiten und wurde unzählige Male gecovert – etwa von Elvis Presley, Ray Charles, James Brown und Sinatra selbst.
Freude am Experiment
Für den Pianisten und Beatles-Fan Hans Feigenwinter ist George Harrison alles andere als ein One-Hit-Wonder, sondern ein ernstzunehmender Songwriter. Davon zeugen dessen insgesamt 22 Kompositionen für die Beatles und zahlreiche weitere als Solokünstler: darunter Klassiker wie «Taxman» und «While My Guitar Gently Weeps» oder «My Sweet Lord».
Was diese Songs genial mache, sei schwer zu sagen, so Feigenwinter. Aber ein paar Eigenheiten von Harrison als Songschreiber könne man durchaus benennen: Er verschleiere Tonarten, spiele mit asymmetrischen Rhythmen und Taktwechseln. «Das hält die Songs in Bewegung und bringt eine schöne Unruhe mit sich.»
Emanzipation als Songwriter
Immer wieder soll Harrison mit Lennon und McCartney über die musikalische Ausrichtung der Band gestritten haben. Lennon sträubt sich gegen Harrisons zunehmenden Einfluss auf das Songwriting. Und McCartney pocht auf einen polierten und kommerziell ausgerichteten Sound.
Harrisons eher experimentelle Ansätze stossen da auf wenig Begeisterung. In einem Interview mit dem «Rolling Stone»-Magazin erzählt Harrison, es sei ihm schwergefallen, beim Songwriting mitzumischen. «Ich musste 59 seiner [Pauls] Ideen ausprobieren, bevor er sich meine überhaupt anhören wollte.» Kein Wunder, gibt es nur selten mehr als zwei Harrison-Nummern pro Beatles-Album.
Er war ein Trendsetter
Doch Harrison ist letzten Endes derjenige, der den musikalischen Horizont der Beatles massiv erweitert. Er interessiert sich für indische Spiritualität und bewusstseinserweiternde Drogen. Als einer der ersten weissen Musiker bringt er asiatische Klänge in die Popmusik, lange bevor das Wort «Weltmusik» erfunden wurde.
Die Sitar setzt er ab Mitte der 1960er-Jahre in seinen Songs «Within You Without You» oder «Love You To» ein. Ein Quantensprung für ihn, die Band und die Popmusik generell: Damit tritt Harrison eine Lawine des Psychedelic Rock los, der sich zahlreiche andere Bands anschliessen.
Qualität statt Quantität
Als die Beatles sich im Frühjahr 1970 trennen, veröffentlicht Harrison nur wenig später «All Things Must Pass». Ein Triple-Album, das er mit all dem Material füllt, das er ursprünglich für die Band geschrieben hatte. Das Album stürmt die Charts und eröffnet Harrison eine Karriere als ernstzunehmender Solokünstler.
Hat George Harrison die besten Beatles-Lieder geschrieben? Das wäre sicher eine steile These. Etwas weniger provokant könnte man fragen: War er als Songschreiber auf Augenhöhe mit Lennon/McCartney?
Wer von den Beatles der Beste war, das interessiere ihn eigentlich nicht, sagt der Pianist Hans Feigenwinter. «Wir können froh sei, dass wir diese grosse Sammlung an fantastischen Songs haben. Und einige davon sind eben von Harrison.»