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150 Jahre Kanada Zwei Inuit-Frauen singen für mehr Gerechtigkeit

150 Jahre nach der Gründung Kanadas kämpfen zwei Sängerinnen für die verletzten Rechte der First Nations und der Inuit.

Das Wichtigste in Kürze

  • Cynthia Pitsiulak und Annie Aningmiuq singen den traditionellen Kehlkopfgesang der arktischen Ureinwohner – er war lange verboten.
  • Der Kehlkopfgesang Katjaq wird heute in Kanada wieder traditionell gesungen, aber auch mit modernen Musikstilen gemischt.
  • Die Sängerinnen setzen sich in Ottawa politisch für die Anliegen der Inuit ein: Bildung, Gesundheit und Aufklärung begangener Verbrechen.

Die Geschichte Kanadas beginnt nicht erst 1867, als sich die britischen Kolonien zu den ersten vier Provinzen eines neuen Bundesstaates zusammenschliessen. Zuvor lebten dort Menschen schon über Jahrtausende hinweg. Der Umgang mit ihnen seit der Kolonisierung ist sicherlich das dunkelste Kapitel der Landeshistorie.

Starke Stimmen melden sich zu Wort

Die Ureinwohner, die First Nations und die Inuit, wurden lange Zeit als «Indianer» und «Eskimos» bezeichnet. Sie melden sich heute verstärkt zu Wort, sowohl in Politik als auch in der Kultur.

Cynthia Pitsiulak und Annie Aningmiuq gehören zu diesen Stimmen: zwei moderne arktische Frauen. Sie kämpfen für die Bewahrung der Inuitmusik und -sprache.

Das akustische Aushängeschild der beiden Frauen ist der Katajaq (sprich: katatschak), ein Kehlkopfgesang. In dieser Form gibt es ihn nur bei den Arktisbewohnern.

Übertragen, wiederentdeckt und weiterentwickelt

Zwei Frauen in traditioneller Kleidung stehen eng beieinander und singen in ein Mikrofon.
Legende: Der traditionelle Kehlkopfgesang der Artkisbewohner wurde von den Missionaren verboten. Archiv Rüdiger Oppermann

«Als die Missionare in die Arktis kamen, verboten sie uns den Katajaq. Vor 40 Jahren aber kam er wieder langsam zurück in die Inuitkultur. Das verdanken wir ein paar wenigen Frauen. Sie haben ihn weiter gepflegt – dadurch konnte er wiedererweckt werden», sagt Pitsiulak.

Der Katajaq ist sowohl für Augen und Ohren ein Erlebnis: In Umarmung stehen sich die beiden Frauen gegenüber, verzahnen die Keuch- und Grummel-Laute zu komplexen rhythmischen Mustern.

Die Sängerinnen können nahe an einen Trancezustand kommen. Sie rufen mit dem Gesang die Vorfahren und Naturgeister. Heute geht der Katajaq auch Fusionen mit Techno und HipHop ein. Pitsiulak und Aningmiuq wollen aber sichergehen, dass auch die traditionelle Form überlebt.

Auf der politischen Bühne

Die beiden Frauen haben ihre Dörfer auf Baffin Island verlassen. Die Insel gehört zur Nunavut-Provinz, die seit 1999 autonom ist. In der Hauptstadt Ottawa auch jenseits der Musik wirkungsvoller für ihr Volk arbeiten zu können.

Pitsiulak ist für die Fernsehanstalt der Inuit tätig. Aningmiuq arbeitet im Büro des einzigen Abgeordneten von Nunavut im Parlament. Von diesen Positionen aus können sie die Lage der Inuit gut einschätzen: «Im Moment gibt es eine hohe Selbstmordrate unter den Inuit. Mit diesem Problem sind wir konfrontiert, seit wir von der Regierung in diese neuen Siedlungen gesteckt wurden», sagt Pitsiulak.

«Innerhalb von zwei Generationen mussten wir uns an eine Lebensweise gewöhnen, die dem Nomadentum völlig entgegengesetzt war. Das ist ein gewaltige, schnelle Veränderung. Jetzt haben die Inuit-Gemeinden mit der fehlenden wirtschaftlichen Struktur zu kämpfen. Es gibt keine Arbeit und die Lebensmittelpreise sind astronomisch hoch im Vergleich zum Rest von Kanada.»

Kanada und seine Ureinwohner

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Politisch singen geht auch

Pitsuilak und Aningmiug sehen jedoch auch Anzeichen für positive Veränderungen. 2008 wurde eine Wahrheitsfindungskommission eingesetzt. Die Kommission untersucht Verbrechen an den Inuit und First Nations. Sie soll das Schicksal verschwundener Frauen und missbrauchter Kinder aufklären.

Aber auch jenseits dieser staatlichen Bemühungen bringen Musikerinnen und Musiker das Thema in die öffentliche Diskussion: Der Rockstar Gord Downie erzählt mit seinen Songs auf «The Secret Path» zum Beispiel die Geschichte von Chanie Wenjack. Wenjack war ein First-Nation-Junge, der vor 50 Jahren auf der Flucht vor seinen Peinigern umkam.

Inuit-Kultur für die ganze Welt

«Wir müssen erst einmal wieder unser Selbstwertgefühl entwickeln», sagt Aningmiuq. «Den jungen Inuit muss der Zugang zu Hochschulen ermöglicht werden. Türen in verschiedenen Lebensbereichen sollten ihnen offenstehen, in den Künsten oder im Sport zum Beispiel. Das Gesundheitssystem und psychologische Betreuung muss die Dörfer erreichen.»

Pitsiulak ergänzt: «Es wäre toll, wenn die Inuit in der ganzen Welt bekannt werden und wir zeigen können, wie vielfältig und schön unsere Kultur ist, und das seit tausenden von Jahren.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Passage, 16.6.2017, 20 Uhr.

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