«Würde ‹Der Spiegel› in der Schlagzeile suggerieren, das Kind der Kronprinzessin sei tot, würden sich die Leser aufregen», ist Moritz Tschermak überzeugt. Aber bei der «Prima Woche» rege sich in diesem Fall keiner auf. Journalistische Regeln scheinen für Klatschhefte nicht zu gelten. Dies obwohl einige Hefte eine ähnlich hohe Auflage wie «Der Spiegel» haben.
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Was viele als gegeben hinnehmen, verblüfft die Journalismus-Studenten Mats Schönauer (24) und Moritz Tschermak (26). In ihrer Bachelorarbeit wollen sie das Feld der Klatsch- und Regenbogenpresse ausleuchten. Sie haben nur die unterste Schublade im Visier, so gehören Hochglanzmagazine wie «Bunte» und «Gala» nicht in ihr Sample. Parallel zu ihren Untersuchungen füttern die beiden auch ihr Praxisprojekt, den Blog topfvollgold.de.
Wenn aus Fragen Fakten werden
So stammt ein Beitrag auf topfvollgold.de vom Heft «Neue Post». Die Schlagzeile: «Boris Becker: Sucht er Hilfe bei einem dubiosen Berater?» Autor Moritz Tschermak hat den Artikel auf Fakten untersucht. Seine Zusammenfassung: «Die ‹Neue Post›-Milchmädchenrechnung: Steuerhinterziehung 2002 + Beteiligung an Pleite-Internetportal + Streit wegen offener Rechnungen um seine Mallorca-Finca = ‹Kein Ausweg mehr› für Boris Becker.»
Die Beweisführung der «Neuen Post» ist gespickt mit Relativierungen – und mit Fragen: «Ob Boris ihn um einen Kredit bitten muss?» Der Blog dröselt die «Fakten» genüsslich auf und lässt sich auch den einen oder anderen Seitenhieb nicht nehmen. Stil- und Grammatikfehler bleiben aber meist ein Amüsement am Rande.
Eine halbe Milliarden Klatschhefte pro Jahr
Schönauer und Tschermak, auch Mats und Moritz genannt, sprang das Thema für ihre Bachelorarbeit beim Einkaufen ins Auge. Vor dem Zeitschriftenregal fielen Ihnen die teilweise widersprüchlichen Schlagzeilen der Klatschpresse auf. Auf dem einen Titel trennen sich zwei Promis, auf dem anderen wird spekuliert, dass sie heiraten. Die Hefte kosten meist knapp einen Euro, da griffen die Studenten zu.
Als sie sich ins Thema vertieften, stellten sie fest, dass diese Zeitschriften einen riesigen Markt bedienen. Anhand der Auflagenzahlen errechneten die Studenten, dass in Deutschland jährlich eine halbe Milliarde Klatschhefte gedruckt werden. Einzelne Magazine sind dabei ähnlich auflagenstark wie zum Beispiel «Der Spiegel».
Wer liest das alles?
Die Klatschhefte gehören zu den wenigen Printerzeugnissen, deren Marktanteile nicht immer noch weiter einbrechen. Trotzdem werde der Regenbogenpresse kaum Aufmerksamkeit geschenkt, stellten die beiden Studenten fest: Sie fanden nur vereinzelt medienwissenschaftliche Texte und auch kaum einen Medienkritiker, der sich ernsthaft mit dieser Berichterstattung auseinandersetzt.
Die Studenten haben die Mediadaten, die Verlage den Inserenten zur Verfügung stellen, analysiert. «Gelesen werden diese Hefte von Frauen um die 70 Jahre», spitzt Tschermak die Erhebungen zu. Ob das hohe Alter der Durchschnittsleserin die hohen Auflagenzahlen gefährdet, bleibt offen.
Über ihre eigenen (Blog-)Leser können die Studenten nur mutmassen. Gemäss Facebook-Likes und Twitter-Meldungen interessieren sich vor allem Leute aus dem Medienbereich für topfvollgold.de. Warum sich sonst niemand intensiv mit der Klatschpresse beschäftigt? «Irgendwie scheint es viele Leute im Medienbereich zu interessieren. Nur im eigenen Garten will sich niemand mit dem Thema beschäftigen», so die Erklärung von Moritz Tschermak. Täglich besuchen etwa 1000 Nutzer den Blog topfvollgold.de.
Korrigieren, Kontrastieren, Missionieren
Und die Stars, profitieren die nicht von der Klatschpresse? Bekanntheit um jeden Preis, natürlich gebe es Promis, die so denken. Einige bekommen die Geschichten vielleicht gar nicht mit, andere mögen sich nicht kümmern, mutmasst Tschermak.
Seit Schönauer und Tschermak im April 2013 den Blog eröffneten, gab es aber auch schon Facebook-Likes von Prominenten und Mails von Managern. Das soll auch die nächste Stufe im Bachelorarbeit-Projekt sein: Opfer befragen und Anwälte interviewen. Vielleicht wollen sie auch Aufklärungsarbeit leisten, indem sie ihre Blog-Artikel auf Flugblätter drucken und an Schlagerkonzerten verteilen. Abgabetermin für die Bachelorarbeit ist im September 2013. Mindestens bis dahin suchen die beiden Studenten den Topf voll Gold am Ende der Regenbogenpresse.