«Mama, das muss ich googeln» könnte bald eine andere Bedeutung haben. Denn mit «Google Classroom» hat der Internetgigant ein Unterrichts-Tool auf den Markt gebracht, mit dem Lehrer Hausaufgaben digital verteilen können.
Zu Hause angekommen, erledigen die Schüler ihre Aufgaben am Computer oder Tablet – und können vom Lehrer jederzeit kontrolliert werden: Dieser kann in Echtzeit verfolgen, ob ein Schüler eine Aufgabe bearbeitet hat. Das Feedback und die Benotung schickt der Lehrer direkt auf die Anwendung. Ständige Kommunikation also – auch ausserhalb des Klassenzimmers.
Adieu Freizeit?
Ein «Bis morgen, Herr Lehrer» könnte es also bald nicht mehr geben. Eine Besorgnis, die erst mit der Zeit bestätigt oder verneint werden könne, sagt Klaus Rummler von der Pädogischen Hochschule Zürich: «Es bleibt abzuwarten, wie Lehrpersonen das organisieren. Ob sie die Schüler dazu anhalten, die Aufgaben zu einer bestimmten Uhrzeit zu erledigen, was sicherlich durch die starke Reglementierung einen Eingriff in die Freizeit bedeutet würde. Oder ob sie die Schüler ihre Zeit frei einteilen lassen und möglicherweise länger Zeit für eine Aufgabe geben.»
Wie das Tool benutzt wird und inwiefern es für die Schüler eine Chance bietet, liegt überhaupt grossenteils in der Hand der Lehrpersonen, meint Rummler. Es kommt also darauf an, ob sich die Lehrperson «Google Classroom» nur bedient, um fixfertige Lernmaterialien hochzuladen. Oder ob sie es ihren Schützlingen erlaubt, auch selbst Lernmaterialen als Ergänzung zur Unterricht hochzuladen oder sie zu verändern.
Werden beispielweise in der Schule Winkel durchgenommen, kann der Schüler Fotos von Dingen mit Winkeln, denen er in seiner Freizeit begegnet, hochladen. Dies kann sich positiv auf die Schüler auswirken, so Rummler: «Der Unterricht wird so plötzlich viel spannender. Die Schüler werden motiviert, über das Bestehende hinauszugehen. Also auch mal selbst für Dinge zu lernen und sich weiterzuentwickeln.»
Google wird nicht zum Pädagogen
«Google Classroom» hat also durchaus Potenzial, die pädagogische Praxis in eine positive und kreative Richtung zu lenken. Trotzdem muss der neuen Plattform mit Vorbehalten begegnet werden. Hauptsächlich wegen seines Initiators: «Google ist keine karitative Einrichtung, sondern hat immer einen marktwirtschaftlichen Bezug», so Rummler. Google wolle seine Geräte und Services an die Leute bringen. Doch wie werden sie in diesem Fall finanziert? Aus der Schulkasse oder aus dem elterlichen Geldbeutel? Eine Frage, die noch zu klären ist, so Rummler.
Was passiert mit den Daten der Schüler?
Von kommerziellem Interesse sind auch die Daten der Schüler. Zwar verspricht Google, keine Anzeigen auf der «Classroom»-Anwendung zu schalten und keine Inhalte oder Daten zu Werbezwecken zu verwenden. Doch Google wird auch hier eine gewinnbringende Kollaboration finden, sagt Rummler: «Ich könnte mir vorstellen, dass auf der Grundlage dessen, was Schüler und Schülerinnen in diesen Google-Plattformen machen, sie spezifische Angebote geschaltet bekommen, beispielweise auf Amazon.» Mit solchen Prognosen müsse man jedoch zum jetzigen Zeitpunkt vorsichtig sein, räumt der Pädagoge ein.
Vorsicht sei auch im Umgang mit «Google Classroom» geboten, bevor ein rechtlicher Rahmen dafür bestehe, betont Rummler. «Wir wissen nicht, was mit den Daten passiert, wie sie verwendet werden. Deshalb muss jetzt ein datenschutzrechtlicher Rahmen geschaffen werden, der den Umgang mit von Schülern generierten Daten regelt.»
«Google Classroom» ist zwar entwickelt. Das Tool ist aber noch nicht in den Klassenzimmern angekommen. Ob es also von pädagogischem oder ökonomischem Nutzen ist, bleibt noch offen. Klar ist aber: Google bleibt ein Weltkonzern mit finanziellem Interesse. Und wenn dieses Interesse in diesem Fall Fortschritte in der Pädagogik mit sich bringt, umso besser.