Das Dekor ist klassisch – die Hauptfigur, die es belebt, ganz und gar nicht. Denn in dieser Bibliothek sitzt nicht etwa ein verstaubter Literaturprofessor auf einem antiken Sessel. Nein, ein richtiger Gangster mit fettem Blingbling um den Hals und standesgerechter Street-Attitüde chillt auf dem antiken Sofa und referiert. Seine Sujets entsprechen zwar ganz dem klassischen Ambiente: «Romeo und Julia», «1984», «Ödipus» oder «The Great Gatsby». Doch hier wird Jay Gatsby zum «rich playboy with that mad Mitt Romney money» oder Romeos geliebte Julia zum «most tapable ass».
Literatur für die Masse
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Sparky Sweets PhD, der eigentlich Greg Edwards heisst, fasst literarische Klassiker zusammen und analysiert sie – und das im «street slang». Kombiniert mit ein paar humorvollen Illustrationen entstehen daraus Videos, die auf der Website «Thug Notes» (US-Slang für «Verbrecher-Notizen») und auf Youtube publiziert werden. Und das Konzept «Classical Literature. Original Gangster.» scheint zu gefallen: Der Youtube-Channel hat schon fast 190‘000 Abonnenten.
Die Idee zum literarischen «Gangster-Projekt» hatte sein Produzent, erzählt Greg Edwards im Skype-Gespräch. Nach einer trockenen Theateraufführung habe sich dieser gefragt: Wie kann ich dieses Theaterstück erzählen, damit es auch strassentauglich ist? Und wer könnte dies besser als einer von der Strasse – ein «original gangster» eben. Die perfekte Besetzung für diese Rolle fand er in Greg Edwards, der schon seit über zehn Jahren als Komiker arbeitet.
Humor als Rezept
Einen Doktor in Klassischer Literatur, wie seine Rolle als Sparky Sweets PhD nahelegt, hat Greg Edwards nicht. Jahrelang war er jedoch neben seinem Komikerdasein als Lehrer tätig. «Viele Lehrer unterrichten schon so lange, dass sie den Enthusiasmus am Unterrichten verloren haben», sagt Edwards. Der Humor gehe da oft verloren. «Thug Notes» soll als Inspiration dienen, genau diesen wieder in den Unterricht zu integrieren. Seine Empfehlung: Lehrer sollen sich gemeinsam mit ihren Schülern die Videos anschauen – und auch mal über Hamlet, Jane Eyre und andere Figuren der Weltliteratur lachen dürfen.
Der Spass an den Videos sporne die Jugendlichen und auch die restlichen Zuschauer zum Lesen der Werke an, sind Edwards und seine Teamkollegen überzeugt. Anders als der Titel «Thug Notes» verheissen könnte, geht es nicht darum, für anstehende Prüfungen kurze und kompakte Zusammenfassungen bereitzustellen, um lernfaule Schüler zu entlasten. «Es geht darum, Aufmerksamkeit für diese Bücher zu schaffen und mit einer massentauglichen Sprache Literatur zugängiger zu machen», sagt Edwards. «Die Zuschauer werden so angelockt und lesen danach hoffentlich das Buch.»
Mit Klischees aufräumen
Doch für Literatur zu begeistern ist nicht das einzige Ziel von Edwards und seinem Team. Das Projekt «Thug Notes» will Stereotypen aufbrechen. Indem ein junger Afroamerikaner über Klassiker der Weltliteratur referiert, können Vorurteile abgebaut und Stereotypen verändert werden, hofft Edwards. Und die Nachricht an die Zuschauer ist auch – ganz der Rolle des Gangsterbücherwurms entsprechend – literarisch: «Don’t judge a book by its cover.»
«Thug Notes» ist unerwartet, schräg, humorvoll und passt so gar nicht in die Welt der klassischen Literatur. Doch was nicht passt, kann ja bekanntlich passend gemacht werden. Ob man nach dem Schauen der Videos wirklich zum Buch greift, ist fraglich. Aber die Videos unterhalten und enthalten durchaus geistreiche Interpretationen. Und übrigens: Die Interpretation eines Schweizer Buchs ist vielleicht auch bald auf «Thug Notes» zu finden. Robert Walser hat Edwards' Interesse geweckt.