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Eine Frau hat die Augen geschlossen und hält beide Hände an ihre Schläfen, hinter ihr sind unzählige Bilder verschwommen an einer Wand.
Legende: Die App «Freedom» verspricht Auszeit vom virtuellen Datenstrom – Experten bezweifeln, ob dies der richtige Ansatz ist. Colourbox

Netzwelt Mehr Ruhe und Freiheit – dank einer App?

Noch vor 20 Jahren kannte man die stete Ablenkung durch soziale Plattformen oder News-Portale nicht. Wer dies wieder erleben möchte, kann mit der App «Freedom» das Internet während bestimmter Zeiten blockieren. Mehr Technologie für mehr Ruhe – ist das überhaupt sinnvoll?

Simpler geht's nicht: Doppelklick aufs Programm, eingeben, wie viele Minuten oder Stunden man offline sein will – und los geht das konzentrierte Arbeiten. Möglich macht das die App «Freedom», die gemäss Hersteller bereits über eine halbe Million Menschen nutzen.

Die Medien singen Loblieder, und Prominente bekennen, mit Freedom besser arbeiten zu können. Auch der Zürcher Filmemacher Jan Gassmann nutzt Freedom: «Ich bin beim Surfen auf diese Applikation gestossen und habe die vielen Berichte von Schriftstellern oder Kreativen gelesen: Sie alle sagen, dass sie wieder schreiben oder arbeiten können, seit sie diese App nutzen. Da dachte ich: Das versuche ich jetzt auch mal.»

Medienkonsum einem Computerprogramm überlassen?

Freedom heisst Freiheit. Und diese will die Applikation dem User bieten. Und zwar Freiheit von ganz vielen aktuellen Themen, die permanent den ganzen Tag auf uns einprasseln. «Das Internet bringt einem immer neue Dinge – ein Fluss, den ich mit «Freedom» ab und zu zu verlassen versuche», erklärt Jan Gassmann. Das habe einerseits etwas von Feriengefühl und ermögliche andererseits konzentriertes Arbeiten.

Ist das wirklich der richtige Ansatz – entschleunigen, indem wir die Kontrolle über unseren Medienkonsum einem Computerprogramm überlassen? Nein, findet Tobias Matzner. Der Philosoph beschäftigt sich an der Universität Tübingen mit Technikphilosophie und Medienethik.

«Es ist sicher nicht generell falsch, so eine App zu nutzen. Schwierig wird es aber, wenn man einen Kontrollverlust dadurch bekämpfen will, dass man die Kontrolle an Maschinen abgibt. Anstatt zu überprüfen, wie man selber wieder mehr Kontrolle über die Technologie bekommt.»

Die Katze beisst sich in den Schwanz

Die Applikation kann für 10 Dollar übers Internet heruntergeladen werden und verspricht mehr Produktivität, mehr Leistung. Das macht Tobias Matzner stutzig: «Die ganze Nutzung ist schon wieder eingebunden in einen Prozess der Selbstoptimierung hin zu mehr Effizienz.» Das Internet, das man genau mit dieser App in den Griff bekommen wolle, werde ja auch angepriesen, um schneller effizienter von überall her arbeiten zu können – dient also genauso wie die neue App der Selbstoptimierung für mehr Effizienz. Die Katze beisst sich in den Schwanz: Es scheint kein Weg aus der Falle zu führen.

Aber wie könnte ein nachhaltiger Umgang mit dem Internet aussehen? Wie lässt sich die ständige Ablenkung durch Internetseiten, Benachrichtigungen und Mails in den Griff bekommen? Die Probleme, die wir mit Technik hätten, entstünden immer aus einem Zusammenspiel zwischen Mensch und Technik, erklärt Tobias Matzner. «Die Idee, diese Probleme zu lösen, indem wir nur die Technik verändern und nicht die sozial-ökonomischen Bedingungen, kann zu Lösungen führen, die das Problem langfristig einfach in eine neue Runde schieben.»

Die Lösung heisst: Reflexion

Es geht also darum zu verstehen, weshalb man sich vom Internet ablenken und seinen Rhythmus davon bestimmen lässt. Sind es Dinge, die etwa der Arbeitgeber verlangt, wie das ständige Abrufen des Email-Posteingangs? Und welche politischen und ökonomischen Zwecke stecken eigentlich hinter all den Links und Bildern, die uns ablenken, die wir anklicken sollen? Diese Fragen zu reflektieren könnte eine nachhaltige Antwort auf das Problem des Zeitfressers Internet geben.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 5.9.2014, 12.10 Uhr.

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