Als vor ein paar Tagen bekannt wurde, dass die tschetschenischen Brüder Dzhokhar und Tamerlan Tsarnaev die Anschläge auf den Boston-Maraton verübt haben sollen, lief Twitter heiss. Nur: Die Wut richtete sich fälschlicherweise gegen Tschechien – denn viele scheinen das europäische Land nicht von der Republik in Russland unterscheiden zu können. «Now what? War with Czech republic?» oder «Let's nuke Czechoslovakia» sind noch zwei der harmloseren Meldungen, die der Blog «public shaming» veröffentlicht hat.
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Hinter der Website steht Matt Binder, Produzent des Internet-Polit-Talks «Majority Report». Er begann mit seinem Blog im Oktober 2012, wollte, dass solche Leute «dumm da stehen», wie er selbst auf der Seite schreibt. Und damit man sich direkt an die Übeltäter wenden kann, veröffentlichte Binder die Accountdetails der Twitterer immer gleich mit – eine fragwürdige Praxis.
Viele Accounts noch aktiv
An Themen oder politisch inkorrekten Tweets mangelt es Binder kaum. Sei es das Erbeben im Iran von Mitte April, Nordkoreas Drohungen oder die am Dienstag in Frankreich beschlossene Legalisierung der Homo-Ehe. Letzteres hat auf Twitter eine wahre Flut an homophoben, französischen Tweets ausgelöst. Doch wegen der automatischen Übersetzung der Meldungen bleiben auch Twitterer aus Frankreich nicht vom Pranger verschont.
«Dieu a crée Adam et Eve. Pas Adam et Steve...Faut croire que la France ne la pas encore compris» ist noch eines der harmloseren Beispiele, die auf «public shaming» oder Hashtags wie #TeamHomophobe oder #MortAuxGay zu finden sind. Erstaunlicherweise sind aber die meisten der aktuell an den Pranger gestellten Accounts aus Frankreich noch aktiv, wie eine kleine Recherche zeigt. In vielen Fällen wurden die Tweets noch gar nicht gelöscht.
Wer austeilt, soll auch einstecken
Über die Verwerflichkeit der angeprangerten Twitterer und ihrer Aussagen muss man sich nicht streiten. Hauptdiskussionspunkte im Netz sind eher die Meinungsfreiheit oder der generelle Sinn eines solchen Blogs.
Die Einen finden dieses «public shaming» völlig legitim – schliesslich könne jeder selbst entscheiden, ob er etwas öffentlich twittert oder einen privaten Account hat, so das Argument. Ausserdem müssten sich Jugendliche der Auswirkungen von Online-Handlungen bewusst werden und auch einstecken können.
Andere wiederum befürworten eher einen konstruktiven Umgang mit Fehlern und befürchten, dass solche Blossstellungen nur mehr Aggressionen zur Folge haben. Ausserdem sei das öffentliche Anprangern und Diffamieren ethisch höchst umstritten – wie auch ihre Wirkung auf das Verhalten der Angeprangerten.
Motivator: Aufmerksamkeit
Wieder andere vermuten im «public shaming» nur eine weitere Form von Mobbing. Denn unter dem Deckmantel «anti-rassistisch» sei heute alles möglich – egal ob ethisch verwerflich oder nicht, schreibt ein Nutzer beim Slate Magazine.
Der beste Kommentar aber kommt vielleicht von Blogger Connor Dennehy vom Blog «Cats in the Bath». Er vermutet, dass die Twitter-Rassisten, deren Anprangerer ebenso wie die Journalisten, die die beiden kritisieren, eigentlich die gleiche Motivation haben: das unaufhörliche Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.