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Demonstrant in der Türkei im Tränengasnebel. Er demonstriert gegen Premierminister Erdogan.
Legende: Schlachten auf den Strassen der Türkei. Aber auch im virtuellen Raum ist der Protest nicht gefahrlos. Keystone

Netzwelt @RT_Erdogan – die türkische Klagemauer im Netz

Die Polizei hat über 20 Twitter-Nutzer verhaftet, wie türkische Medien berichten. Welche Tweets beanstandet werden, ist noch unklar. Auch Ministerpräsident Erdogan scheint einen Twitter-Account zu haben – und wird über diesen Kanal tausendfach kritisiert.

«Herr Erdogan, ihr grösster Fehler war, die türkische Polizei mit dem Volk und das Volk mit der Polizei zu verfeinden.» So lautet einer von tausenden Tweets, die sich an @RT_Erdogan richten. Während der Proteste in der Türkei waren es bis zu 50'000 täglich.

Peri Evens ist in der Türkei geboren, lebt aber seit vielen Jahren in der Schweiz. Die Journalistin hat sich den Twitter-Feed @RT_Erdogan   angesehen. Es ist ihr schwergefallen, sich einen Überblick zu verschaffen. Neue Nachrichten kommen im Sekundentakt. Die meisten Tweets von Mittwoch, 5. Juni, seien kritisch, sagt Evens. Jene, die Erdogan unterstützt hätten, zeigten sich enttäuscht. Alle, die sowieso am Ministerpräsidenten gezweifelt hätten, fühlten sich bestätigt.

Der echte Erdogan?

Es bestehen mehrere Twitter-Accounts unter dem Namen Erdogan. Keiner davon ist von Twitter verifiziert. Doch viele Medien sehen @RT_Erdogan als Account des echten Ministerpräsidenten. Auch Amnesty International ist davon überzeugt: Die knapp drei Millionen Follower seien ein klares Indiz. Die Menschenrechtsorganisation gibt an, diesen Twitter Account schon länger im Auge zu haben. Die Nachrichten deckten sich mit den Verlautbarungen Erdogans. Darüber hinaus sei der Account verknüpft mit Erdogans Facebook-Profil und dem Youtube-Kanal der Regierungspartei AKP. Die türkische Botschaft in Bern kann keine Aussage zu diesem Twitter-Account machen: «Wir wissen es nicht», hiess es auf Nachfrage.

Klagemauer – angeklagt!

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«Willst du weitere drei Kinder, die so sind wie wir?», fragt eine Frau auf Twitter. Erdogan hatte in der Vergangenheit mit der Forderung, jede türkische Frau müsse drei Kinder gebären, besonders die westlich orientierten Frauen verärgert.

Müssen sich diese Twitterer nun vor Repressionen fürchten? Türkische Medien berichten, die Polizei habe in der westtürkischen Stadt Izmir mindestens 29 Nutzer von Twitter verhaftet. Der Vorwurf: Anstachelung zum Aufstand, Propaganda und Desinformation. Auf welche Tweets sich diese Vorwürfe beziehen, war nach den Festnahmen zunächst unklar.

Auch @RT_Erdogan twitterte zu den Protesten in den Strassen. Er verurteilte diese Kundgebungen natürlich. Vor zwei Tagen meinte er: «Diejenigen, die von einem türkischen Frühling reden, haben recht. Ich werde nicht zulassen, dass sie den Winter bringen.»

Der verbale Gegenangriff auf die Demonstranten war eine der letzten Mitteilungen auf dem Account. Seit dem 3. Juni herrscht Stille. Ein echter Dialog mit den Protestierenden findet auch per Twitter nicht statt. Stattdessen hat sich @RT_Erdogan zur Klagemauer entwickelt, an der die Unzufriedenen ihren Unmut kundtun.

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