Das Universum. Unendliche Weiten. In der Mitte eine Galaxie – 30'000 einzeln programmierte Steine formen sich subtil zum Bild eines Totenkopfes, der sich langsam um einen leuchtend weissen Punkt bewegt. Düstere atmosphärische Musik. Alles ist in schwarz und weiss gehalten. Wer die Webseite faceyourfears.ch aufruft, versteht sofort: Hier geht’s an Eingemachte.
Wer Angst zulässt ist mutig
«Face Your Fears» will Menschen erreichen, die keine Angst davor haben, den seelischen Abgrund ihrer Ängste in Worte, Bilder oder sogar Videos zu fassen. Menschen, die ihre Erkenntnisse weitergeben möchten, die sie aus der Beschäftigung mit dem Thema Angst ziehen. Sie will «eine wichtige und nachhaltige Debatte über den Umgang mit der Angst initiieren.» Ein ambitioniertes Projekt.
Den Anfang bei «Face Your Fears» machen Personen des öffentlichen Lebens: Der inzwischen verstorbene Künstler HR Giger spricht von Albträumen aus seiner Kindheit und von Furcht, die kreative Kräfte in ihm auslöst. Rekord-Luftfahrer Piccard erzählt von seiner Höhenangst als Kind und erklärt, welche Qualitäten Angst haben kann: «Menschen, die sich nie fürchten, verlassen die Komfortzone nie.»
Beiträge zum Thema
Die Ethnologin Elisabeth Maria Thiele hat die Komfortzone verlassen und beschreibt ihre Erfahrungen beim Hurrikane Gustav in New Orleans und beim Besuch einer Voodoo-Frau.
Ohne Interaktion, keine Debatte
Die User hingegen haben keine Möglichkeit, allgemein über das Phänomen zu sprechen. Hier ist Klartext gefragt. Drei Fragen gilt es zu beantworten: «Was ist deine grösste Angst?» «Wie stellst du dich deiner Angst?» und «Was lernt dich der Umgang mit deiner Angst?» – mit Text, Foto oder Video. Das sind hohe Erwartungen an die Userschaft zu einem ohnehin nicht grade einfachen Thema. Sind alle Fragen beantwortet, hat der User seinen persönlichen Angststein geschaffen und erweitert damit die bestehende Galaxie.
Links zum Thema
Die Macher Martin Schilt und Sandra Bühler betonen, dass das Projekt «Face Your Fears» dazu dienen soll, Wissen und Erfahrung weiterzugeben, eine Debatte auszulösen und am reinen Negativ-Image des Angstbegriffs zu kratzen.
Doch leider gibt es keine direkten Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Usern. Ob ein Share-Button für den persönlichen Angststein reicht, um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung anzustossen, ist fraglich.
Was zum Anfassen per Post aus dem Internet
Man kann sich durch die Seite durchklicken und den eigenen Voyeurismus befriedigen. Doch um in das Angst-Universum einzutauchen, braucht man Zeit. Im Idealfall stösst man auf gute Geschichten, findet interessante Ansichten – im Normalfall kreist man um persönliche Befindlichkeiten. Die Inhalte der User können denen der Profis bei weitem nicht das Wasser reichen. Das Projekt besteht erst seit Ende Januar 2015. Das lässt hoffen, dass noch viele spannende Angstgeschichten folgen werden.
Hübsch ist die Idee, dass man sich seinen persönlichen Angststein aus der virtuellen Angst-Galaxie in 3D ausdrucken lassen kann. Ein Unikat aus Stahl. Kein Stein gleicht dem anderen. Etwas zum Anfassen aus dem Internet – als Talisman oder Erinnerung.
Klein-HR Giger spielte mit einem Totenkopf
Und warum eigentlich der Totenkopf auf der Startseite der Plattform? Mitinitiant Martin Schilt erzählt im Gespräch die Geschichte dahinter: Der Vater des Künstlers und Oscar-Preisträgers HR Giger war Apotheker und kam so zu einem Totenkopf. Klein-Hansruedi spielte sehr gerne damit. Hatte den Schädel immer im Schlepptau. Andere Kinder ziehen ein Entlein hinter sich her, nicht aber HR Giger.