Plötzlich waren sie da. Auf Facebook, Twitter und auch in der Presse: Die «When You Live In»-Blogs verbreiten sich derzeit wie ein Lauffeuer durchs Netz. Von Berlin bis Bayreuth, von Lissabon über London und Zürich – für über 30 Städte gibt es mittlerweile einen Blog, der nichts weiter tut als dies: die Eigenheiten der jeweiligen Stadt ein bisschen aufs Korn nehmen.
Die Idee ist immer dieselbe: Man nehme ein stadtbekanntes Klischee (möglichst typisch), formuliere einen Satz (möglichst knapp) und stelle dazu ein animiertes Gif (möglichst bizzar): Videoschnipsel aus Spielfilmen oder kurze Sequenzen von Youtube, die sich ständig wiederholen.
Die ungeschriebenen Codes einer Stadt
«When You Live In...»
Die Ironie ergibt sich durch das Zusammenspiel von Text und animiertem Gif, welches meist einen völlig anderen Kontext hat: Aargauer, die aus Angst der Langstrasse fern bleiben – dazu scheinbar ein triumphierender Hipster , den das popkulturell geschulte Auge als Nerd Kip aus dem Kultfilm «Napoleon Dynamite» erkennt.
Oder junge Männer, die sich in die Confiserie Sprüngli setzen – dazu rollt US-Schauspielerin Lucille Ball aus der 50er Sitcom «I Love Lucy» vieldeutig die Augen . Und einen verpönten Blick von «Star Trek: Raumschiff Voyager»-Captain Kathryn Janeway erntet, wer Basels Barszene falsch einschätzt.
Popkulturelle Grundkenntnisse schaden also nicht, genauso wenig wie ein gewisses Mass an Insiderwissen über die jeweilige Stadt: Die «When You Live In»-Blogs greifen lokale Klischees auf, urbane Rituale, «Dos» und «Don'ts» – die ungeschriebenen Codes einer Stadt. Manche Beiträge wiederum sind grenzüberschreitend verständlich und machen sich lustig über Wetterlage , Grossverteiler oder fehlendes Nachtleben .
Berliner Stereotypen waren zuerst
Begonnen hat der «When You Live In»-Hype in Berlin. Anfang 2013 hat die Engländerin Josie Thaddeus-Johns, die sich kurz zuvor in Berlin niedergelassen hatte, auf der Tumblr-Plattform einen Blog gestartet: Sie sammelte Klischees der Stadt – und solche gibt es gerade im kreativ-künstlerisch-hippen Berlin einige.
«Auch wenn die Idee eigentlich naheliegend ist, habe ich keinen Blog gefunden, der mit den Berliner Stereotypen spielt», sagte die 24jährige jüngst dem Tagesspiegel. Auf ihre ersten eigenen Beiträge folgten schon bald Vorschläge von anderen Stadtbewohnern. Und das Lästern geht bis heute weiter: Praktisch täglich gehen neue Beiträge online.
Blogs von Aarau bis Augsburg
Inzwischen hat sich das Phänomen verselbständigt und hat europaweit Nachahmer gefunden. Nicht nur grosse Städte, sondern auch kleinere Orte wie Fellbach, Augsburg oder Aarau haben ihren eigenen «When You Live In»-Blog – mal besser, mal schlechter.
Bei aller Ironie zeigen die Läster-Blogs noch etwas anderes besonders deutlich: Man hat sie lieb gewonnen, die Macken, Verrücktheiten und alltäglichen Kleinkämpfe des urbanen Lebens.