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Netzsicherheit «Das Internet ist wie ein Auto ohne Airbag»

Dem Netz fehlen die Verkehrsregeln, schreibt die Publizistin Ingrid Brodnig in ihrem neuen Buch «Lügen im Netz». Was tun, damit wir online nicht unter die Räder kommen?

Ingrid Brodnig

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Die 1984 geborene Journalistin und Autorin schreibt für verschiedenen Publikationen. Ihr Schwerpunkt liegt bei Digitalthemen. Nach «Der unsichtbare Mensch» und «Hass im Netz», erscheint nun ihr drittes Buch «Lügen im Netz». Im April 2017 wurde sie von der österreichischen Bundesregierung zur digitalen Botschafterin Österreichs in der EU ernannt.

SRF: Warum funktionieren Fake News im Internet so gut?

Ingrid Brodnig: Wut ist ein wichtiger Faktor. Der Politologe Timothy Ryan hat Untersuchungen auf Facebook gemacht, indem er politische Inserate schaltetet.

Ryan stellte fest: Wenn politische Inserate Wut auslösen, werden sie mehr als doppelt so oft geklickt im Vergleich zu anderen Inseraten.

Online erzielen Postings, die extrem emotionalisieren, bessere Klickzahlen, bessere Likezahlen. Und davon profitieren Falschmeldungen.

Im Netz kommt noch eine zweite Ebene hinzu: die Technik. Auf Facebook entscheidet ein Algorithmus aufgrund der Anzahl Likes, welchen Beitrag man eingeblendet bekommt.

Wenn politische Inserate Wut auslösen, dann werden sie mehr als doppelt so oft geklickt.

Buchhinweis

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Ingrid Brodnig: «Lügen im Netz – wie Fake News, Populisten und unkontrollierte Technik uns manipulieren», Brandstaetter Verlag, 2016.

Das Buch erscheint am 26. Juni 2017.

Lügen und Intrigen sind so alt wie die Menschheit. Gibt es durch das Internet neue Methoden, um die Menschen in die Irre zu führen?

Viele Falschmeldungen handeln von gesellschaftlichen Streitthemen. Wir erleben daher ähnliche Betrügereien wie früher. Nur funktionieren sie online oftmals besser.

Mir behagt nicht, dass wir im Netz demokratie-zersetzende, irreführende Behauptungen haben.

Ein Beispiel aus Italien: Dort gab es im letzten Dezember ein Referendum über die Verfassung. Die Faktencheck-Seite Pagella politica hat damals die erfolgreichsten Meldungen zum Referendum auf Social Media ausgewertet. Unter den Top 10 der Meldungen zum Referendum waren fünf falsch oder irreführend.

Die Tools mit denen wir wieder ein breiteres gesellschaftliches Verständnis schaffen, die fehlen zurzeit.

Den grossen Unternehmen wie Amazon, Google oder Facebook wird oft mangelnde Transparenz in der Bekämpfung von Fake News vorgeworfen. Was erwarten Sie von den grossen Technologiefirmen?

3 Tipps gegen Falschmeldungen

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  • Falschmeldungen bestätigen Ängste und Sorgen. Wenn ein Beitrag besonders aufrüttelt, dann ist das das erste Warnsignal.
  • Bei uneindeutigen Quellen: den Namen der Webseite googlen. Oft findet man Hinweise zu Falschmeldungen oder einer Partei.
  • Unseriöse Seiten versuchen sich oft juristisch mit einem Hinweis zu tarnen: Alles sei Satire und frei erfunden.

Jeden Tag rufen 1,28 Milliarden Menschen Facebook auf. Keine Zeitung, kein TV-Sender hatte jemals täglich so ein grosses Publikum – nicht einmal CNN oder die New York Times.

Die grossen Technologiefirmen sollten zugeben, dass eine grosse Reichweite eine gesellschaftliche Verantwortung mit sich bringt. Sie sollten die Frage stellen: Wie kann man die Software so umgestalten, dass mehr pluralistische Daten möglich sind?

Mark Zuckerberg hat einmal gesagt, dass er es für eine verrückte Idee hält, dass Falschmeldungen das Wahlverhalten beeinflussen. Das ist schon bizarr.

Muss ich Falschmeldungen im Netz also als normales Übel hinnehmen?

Die grosse Frage lautet: Was trägt die aktuelle Ausgestaltung des Internets dazu bei, dass es Falschmeldungen so leicht haben?

Wir können online beobachten, dass digitale Echokammern entstehen. Das sind digitale Räume in denen sich Gleichdenkende austauschen und eher Informationen beziehen, die ihrem Weltbild entsprechen.

Gerade in Echokammern, wo eine Meinung ganz stark vorherrscht, können Falschmeldungen sehr gut zirkulieren. Weil die Stimme des Skeptikers fehlt.

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Ich hätte gerne einen «Überrasch-mich-Knopf» auf Facebook. Wenn ich den anklicke, bekomme ich eine Meldung, die ich sonst nie sehen würde. Weil sie keiner meiner Freunde oder gelikten Seiten geteilt hat, aber bei anderen Nutzern sehr populär ist.

Brauchen wir einen ethischen Kompass im Netz?

Wir haben es versäumt, Sicherheitsmechanismen einzubauen. Ich vergleiche das gern mit der Frühphase des Automobils.

Am Anfang haben Autos auch ganz anders ausgesehen, es gab keine Scheibenwischer – ganz zu schweigen von Airbags oder ABS.

Je wichtiger, schneller und mächtiger Autos wurden, desto mehr Sicherheitsmechanismen wurden eingebaut. Und desto mehr Regeln für den Strassenverkehr gab es.

So ist es auch mit dem Internet. Es hat immer mehr Auswirkungen auf unser Leben. Deshalb müssen wir jetzt die Umgangsformen definieren. Sonst kommen auch online Menschen unter die Räder – wie im Strassenverkehr.

Wie sollen diese Regeln umgesetzt werden?

Es gibt ja auch in den meisten Industriesparten eine Form der Kontrolle. Es gibt Grenzwerte und Normen. Das könnte man auch auf nationaler oder internationaler Ebene im Netz machen.

Wissenschaftler könnten die wichtigsten Algorithmen unserer Zeit testen. Sie könnten untersuchen, ob es zu algorithmischen Diskriminierungen kommt, oder ob es unbehagliche Nebeneffekte gibt. Die Ergebnisse würden dann öffentlich publiziert.

Dafür müssten keine Firmen-Geheimnisse veröffentlicht werden. Dazu bräuchten die Wissenschaftler nicht mal Zugang zum Code. Sie müssten nur Zugang zum Algorithmus haben. Es wäre so möglich, technische Prüfstellen zu haben, die auch Gütesiegel vergeben.

Warum tun wir uns mit Regeln im Internet so schwer?

Weil das Internet oft so abstrakt wirkt. Ich glaube, wenn das Internet aus Schienen bestünde, die man anfassen kann, dann hätten wir längst viel mehr Prüfstellen.

Das Gespräch führte Pilu Lydlow.

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