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Netzwelt Die Schönheit im Fehlerhaften: Aus «Apple Maps» wird Kunst

2012 lancierte Apple eine neue Landkarten-App – und wurde dafür ausgelacht. Denn die «Flyover»-Funktion zeigte Städte und Landschaften zwar in beeindruckendem 3D, produzierte dabei aber unzählige Darstellungsfehler. Dabei lässt sich im Fehlerhaften viel Schönes entdecken, wie ein Kunstprojekt zeigt.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «The Rendering Eye» ist bis zum 16.4.2014 im Architekturforum Zürich zu sehen.

Regula Bochsler macht aus Software-Fehlern Kunst. Die Historikerin und Autorin widmet sich in ihrem Projekt «The Rendering Eye» der Flyover-Funktion in «Apple Maps». Mit dieser App können sich Nutzer frei durch 3D-Ansichten von Städten und Landschaften bewegen.

Aus den Ansichten nimmt Bochsler einzelne Bilder, die einen eigentümlichen digitalen Blick auf die Welt zeigen. Die Bilder sind derzeit in einer Ausstellung im Architekturforum Zürich und in einem neu erschienenen Buch zu sehen. Sie zeigen Fehler in einer vermeintlich hyperrealen Sicht auf die Welt.

Die Welt zeigen, wie sie wirklich ist?

3D-Kartenansicht: Uhrenturm in einer Grosstadt. Der Turm ist stark deformiert, die zwei Uhren auf den verschiedenen Seiten zeigen unterschiedliche Zeiten an
Legende: The Rendering Eye / Downtown #20 Regula Bochsler

Auf Bochslers Bilder sind Darstellungsfehler, sogenannte «Glitches», zu sehen. Und davon gibt es in «Apple Maps» einige, auch wenn der Entwickler Mattias Åström bei einer Präsentation 2011 erklärte, die Flyover-App zeige die Welt so, wie sie wirklich ist.

Dieser Wahrheitsanspruch löst sich bei genauer Betrachtung jedoch auf: Die Objekte weisen Ungenauigkeiten auf, sind oft unförmig. Die plastischen Ansichten werden aus mehreren Fotografien zusammengesetzt. Das ist fehleranfällig, unter anderem führt es dazu, dass ein Uhrenturm unterschiedliche Uhrzeiten anzeigt, je nachdem, von welcher Seite er betrachtet wird.

Die «Glitches» in der Flyover-App lassen vertraute Objekte fremd anmuten. Regula Bochsler zeigt in ihren Bildern die Schönheit in diesen Darstellungsfehlern. Zugleich sind die Bilder befremdend. Die Gebäude sind unförmig, sehen aus wie geschmolzen. Wasserrutschbahnen und Fabrikanlagen werden zum undurchschaubaren Chaos. «Die Ästhetik dieser Bilder ist wahnsinnig schön. Gleichzeitig sind sie auch unheimlich, weil alles Leben aus ihnen herausgetilgt ist», sagt Bochsler. Denn in der Welt der Flyover-App sind keine Menschen zu sehen.

Der Blick der Drohne

Die Flyover-Funktion

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Die App «Maps», auf Deutsch «Karten», ist auf iPhones und iPads ab iOS 6 vorinstalliert. Die Flyover-Funktion ist nur für bestimmte Orte in der «Satellit»-Ansicht verfügbar. Ist eine 3D-Ansicht verfügbar, erscheint der Button «Flyover», mit dem die Funktion aktiviert wird. Die Ansicht kann dann frei gedreht, gekippt und gezoomt werden.

Der digitale Flug über Städte fasziniert, sagt Bochsler: «Ich bin süchtig danach geworden, diese Welt zu erforschen». Die Flyover-Ansicht lässt sich frei drehen und zoomen und bietet so eine völlig neue Sicht auf die Welt. Wegen der groben 3D-Darstellung erinnert die App zuweilen an ein Computerspiel. Es ist es kein menschlicher Blick, sondern der einer Maschine. Schauen wir also in der Flyover-App quasi durch das Auge einer Drohne oder eines Überwachungs-Satelliten?

Der Vergleich mit einer militärischen Sichtweise auf die Welt ist nicht weit hergeholt. Denn die Technologie der Flyover-App wurde vom schwedischen Industrie- und Rüstungskonzern Saab entwickelt – ursprünglich wurde die Technologie für zielsuchende Raketen entwickelt. Dass das Militär unseren Blick auf die Dinge neu definiert, ist keine Neuheit, schreibt Bochsler in der Einleitung zu ihrem Buch. Auch die Luftfotografie wurde immer wieder von militärischen Interessen vorangetrieben.

Vom Fesselballon zur Rakete

Luftaufnahmen wurden von Beginn an für militärische Zwecke verwendet. So wie im 19. Jahrhundert Fotos aus Fesselballons den Generälen des amerikanischen Sezessionskriegs als taktisches Hilfsmittel dienten, sollten auch die computergenerierten 3D-Modelle von Städten und Gebäuden Raketen bei der Zielsuche helfen. Der Blick von oben ist also auch bedrohlich – vielleicht sind die 3D-Welten von «Apple Maps» auch deshalb gleichzeitig schön und unheimlich.

Buchhinweis

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Regula Bochsler und Philipp Sarasin (Hg.): «The Rendering Eye: Urban America Revisited». Edition Patrick Frey, 2014.

Bochslers Bilder zeigen, dass die App die Welt eben doch nicht so darstellt, wie sie wirklich ist. Doch sie markieren einen Zwischenschritt – denn die 3D-Welten von Apple werden immer genauer. Die Bilder von Regula Bochsler halten folglich einen Zustand fest, der in der digitalen Realität bald nicht mehr vorhanden sein wird, sie werden zum historischen Dokument. Das hat die Historikerin überrascht: «Ich habe bislang noch nie erlebt, dass etwas so schnell historisch geworden ist.»

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