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Netzwelt Geschichten aus dem dunklen Herzen des Internets

Creepypasta ist kein abseitiges Nudelgericht, beschreibt auch keinen ekeligen Lebensmittelskandal. Creepypasta ist ein Internetphänomen für Gruselfreaks: Verbreitet werden für einmal keine Katzenfotos, sondern unheimliche Geschichten, Videos und Bilder. Folklore aus dem Internet.

Verschollene Kinder, verfluchte Computerspiele, übernatürliche Wesen oder erschreckende wissenschaftliche Experimente: Creepypasta steht für Horrorgeschichten im Internet – geschrieben von Usern für User. Auf einschlägigen Plattformen und Blogs wie reddit.com oder dem Creepypasta Wiki geben sie ihre Geschichten weiter, von Computer zu Computer.

Creepypasta

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Der Begriff setzt sich zusammen aus «creepy» («gruselig») und «pasta» und klingt ähnlich wie «copy/paste» – denn die Geschichten werden durch Kopieren weitergegeben. Vorläufer waren E-Mail-Kettenbriefe in den 1990er-Jahren. Erste Creepypastas tauchen 2007 auf. Blütezeit ist das Jahr 2010/2011, als viele neue Foren und Fanpages gegründet werden.

Moderne Mythen 2.0

Es ist nicht die schriftstellerische Qualität, die Creepypastas erfolgreich macht. Sondern das intelligente Spiel mit der Angst. Eigentlich wissen alle, dass die Geschichten erfunden sind, aber dennoch nagt der Zweifel im Kopf der Leserin. Könnte nicht doch etwas Wahres dran sein? Der Zweifel macht die Magie aus.

Auch formal täuschen Creepypastas eine gewisse Authentizität vor. Beispielsweise in Form einer fiktiven Reportage, wie in der Geschichte smile.jpg. Oder als Blog in der Ich-Erzählung Ted the Craver. Mit scheinbar echten Fotos wird der Mythos Slenderman belegt. Alles Elemente im Spiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

Spiel mit den Ängsten unserer Zeit

Um dem Leser richtig einzuheizen wird bei Creepypastas auf bekannte Tricks zurückgegriffen: die Angst vor unkontrollierbarer Technik. Das hat bereits gut im Film «2001: A Space Odyssey» funktioniert – Computer HAL 9000 bleibt unvergessen. In der Welt der Creepypastas hört sich das so an: 1996 sterben überdurchschnittlich viele Kinder durch Suizid oder werden krank. Auslöser sollen die hohen Frequenzen der Titelmusik des Orts Lavender Town im Computerspiel Pokémon Red und Green sein.

Kinder spielen auf einem Spielplatz. Im Hintergrund die Umrisse eines grossen dünnen Mannes.
Legende: Das erste Fotos, dass den Slenderman zeigen soll. Victor Surge/SomethingAwful

Quantität steht vor Qualität

Beliebte Creepypasta-Geschichten sind Selbstläufer. Sie werden so lange kopiert und weitergegeben bis sie zum modernen Mythos innerhalb der Community werden.

Wenn man sieht, wie viele dieser Geschichten durchs Netz geistern, wird schnell klar: Quantität steht vor Qualität.

Eine der bekanntesten Creepypastas sind diejenigen über Slenderman. 2009 taucht die Geschichte zum ersten Mal im legendären Forum SomethingAwful auf. Der User Victor Surge postet Fotos: Eines zeigt spielende Kinder, im Hintergrund ein geheimnisvoller dünner Mann mit tentakelartigen Armen. Auf den ersten Blick kaum sichtbar. Inszeniert wie ein echter Schnappschuss. Darunter steht: Das Foto sei im Jahr 1986 aufgenommen worden – an diesem Tag verschwanden vierzehn Kinder. Alle anderen Bilder des Tages seien verbrannt. Fotografin Mary Thomas sei seitdem vermisst.

Das erste Open-Source-Monster

Die Figur hat sich inzwischen durch die Fantasie der User weiterentwickelt. Je nach Geschichte verfolgt, tötet oder entführt der Slenderman seine Opfer. Die Figur gehört zu den wenigen, die den Sprung aus abseitigen Foren und Plattformen geschafft hat.

Inzwischen gibt es von Slenderman unter anderem Computerspiele, Videoserien und Songs. Wenn man auf Youtube «Slenderman» eingibt, kommt man auf knapp 500'000 Einträge. Der britische Autor Ian Vincent nennt Slenderman «das erste Open-Source-Monster.»

2014 erreicht der Hype um die Figur Slenderman einen traurigen Höhepunkt: In Waukesha, Wisconsin können zwei 12-Jährige Realität und Fiktion nicht mehr trennen und attackieren eine Klassenkameradin mit einem Messer. Als Grund geben sie an, Slenderman gefallen zu wollen.

Schlecht, aber bisweilen unterhaltsam

Qualitativ kommen Creepypastas nicht an die Werke grosser Gruselgeschichtenschreiber heran – auch Grimms Märchen sind zu weiten Teilen subtiler. Aber das müssen Creepypastas auch nicht. Ihre Erfinder sind keine Berufserzähler, sondern User. Was sie mit den Grimms dennoch gemein haben, ist der Wunsch, Geschichten weiterzutragen. Daher gilt auch hier: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann pasten sie noch heute.

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