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Netzwelt Radiohead laden zum Trip aus Pixel und Soundbites

Eine Neuerscheinung der britischen Band Radiohead sorgt immer für Aufregung im Popzirkus. Diesmal ist es aber keine neue Musik, sondern eine App. Sie heisst «PolyFauna» und ist Tor zu einem virtuellen Fiebertraum. Ein Ziel gibt es dabei nicht, doch die ungemütliche Welt macht süchtig.

Am Anfang ist alles schwarz, dann eine verwackelte Schrift: «PolyFauna». Einen Augenblick später finde ich mich mitten in einem grusligen Land wieder. Kalt, grau und mit undefinierbaren Dingen, die mir um die Ohren fliegen.

Die App

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«PolyFauna» ist eine Zusammenarbeit zwischen Radiohead und Universal Everything, eines englischen Designstudios.

Gratis-Download: Hier (iOS) und hier (Android).

Willkommen in der Welt von «PolyFauna», einer App der Band Radiohead, die gratis erhältlich ist. Ein Experiment, inspiriert und gebaut aus Versatzstücken von Radioheads letztem Album «The King of Limbs» (2011). Dessen Eröffnungssong «Bloom» ist Soundtrack und Motiv zu «PolyFauna».

Sänger und Bandleader Thom Yorke sowie Produzent und Bruder im Geist, Nigel Godrich, liessen sich von frühen Computeranimationen und Kreaturen aus dem Unterbewusstsein anregen, wie sie auf der Website schreiben. Die Gebrauchsanweisung beschränkt sich auf: «Dein Bildschirm ist das Fenster in eine wachsende Welt.» Darin soll man sich bewegen, sich umschauen und als einzige konkrete Anweisung: roten Punkten folgen. Weitere Instruktionen fehlen, «PolyFauna» will erlebt und entdeckt werden.

Vögel? Quallen? Drohnen?

Der Sänger Thom Yorke singt in ein Mikrofon an einem Konzert.
Legende: Thom Yorke, Kopf von Radiohead. Keystone

Synthesizer und andere Geräusche untermalen die geheimnisvolle Szenerie, rätselhafte Kreaturen schwirren umher – prähistorische Vögel? Quallen? Drohnen? Ich schaue mich um in der fremden Welt, indem ich das Gerät bewege. Wenn ich den Bildschirm berühre, zeichne ich Objekte in die Landschaft, die sich vor den Augen aufplustern und sogleich in tausend Stücke zerspringen. Es ist unfreundlich hier, dunkel, düster. Regnet’s? Schwierig zu sagen.

Dann tatsächlich: Ein roter Punkt leuchtet entfernt am grauen Himmel. Er kommt näher, ich versuche draufzuhalten, doch er entwischt. Beim Nächsten klappt’s, er steuert direkt auf mich zu, kollidiert, ein Knall und ich finde mich in einer neuen Welt wieder: violett statt grau, lange Würmer statt Drohnen, Baumähnliches am Horizont, neue Geräusche. Das Ganze kommt mir vor wie ein virtueller Fiebertraum, ein Trip aus Pixel und Klangfetzen.

Erst jetzt erkenne ich unten rechts auf dem Bildschirm ein kleines Kamerasymbol, damit kann ich jederzeit einen Screenshot machen, der sogleich auf der Bandwebsite auftaucht. Es entstehen entrückte Phantasie-Bilder, die an die Anfänge der Computergrafik erinnern, eine Mischung aus Gemälde und Weltraumgame.

Nach der Zeitung die App

Video
Radiohead: die Band als Gesamtkunstwerk
Aus Kulturplatz vom 11.05.2011.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 24 Sekunden.

Die audiovisuelle Welt «PolyFauna» ist typisch für Radiohead – verspielt, rätselhaft und äusserst einnehmend. Die britischen Musiker stechen seit über 20 Jahren mit eigenwilligen Ideen und Meinungen aus der Masse der Independent-Bands hervor. Einerseits natürlich mit ihrer Musik, mit der sie Kritiker entzücken und Fans begeistern, jedoch auch regelmässig vor den Kopf stossen. Aber auch mit allem rund um ihre Alben, beispielsweise mit neuartigen Vertriebsmodellen und unverblümter Kritik an Labels und Streamingdiensten.

Radiohead waren immer mehr als ihre Tonträger oder ihre Konzerte, die Band war seit jeher ein audiovisuelles Erlebnis. Ihre Booklets sind Kunstwerke und die Verpackungen möchte man an die Wand hängen. Zu ihrem jüngsten Album «The King of Limbs» produzierten sie eine Zeitung. So gesehen passt «PolyFauna» bestens in die Radiohead-Tradition.

Radiohead sind mit der bandeigenen App in guter Gesellschaft – einige Musiker traten in letzter Zeit mit mobilen Anwendungen in Erscheinung. Björks App «Biophilia» ist am ehesten mit «PolyFauna» vergleichbar. Auch Lady Gaga, Brian Eno oder Kraftwerk entwickelten eigene Apps. Am weitesten ging wohl Boris Blank von Yello mit der Anwendung «Yellofier», mit der sich auf dem iPhone komponieren lässt. «PolyFauna» hat demgegenüber keinen wirklichen Nutzen, aber das will nichts heissen – immer wieder will ich in die unwirsche Welt zurückkehren.

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