Im Netz regen sich Zehntausende zügellos auf. Der Grund des Aufruhrs: Im Zoo von Cincinnati ist ein 4-jähriger Junge in die Affengrube gefallen. Aus Angst, das Kind könnte sterben, wurde der Affe vom Sicherheitsdienst erschossen.
Auf Twitter und Facebook suchen Menschen nun nach dem Schuldigen: Sie erzürnen sich über Tierhaltung im Zoo von Cincinnati oder die «Rabenmutter», die ihr Kind nicht gut beaufsichtigt habe. Geballte Ladungen von Zorn werden emotional geladen ins Netz geschossen – der gute Ton bleibt in vielen Fällen auf der Strecke.
Am digitalen Pranger
Auf der Facebook Seite «Justice for Harambe» fordern mittlerweile 130‘000 Menschen, dass Zoowärter und Mutter zur Verantwortung gezogen werden. Viele spielen sich regelrecht als Richter auf: ein leichtes Spiel, müssen sie für ihre Kommentare – sind sie auch noch so gehässig – keine Verantwortung tragen.
Es ist nicht der erste Shitstorm,der wegen einer Tier-Tötung entsteht. Bereits in den vergangenen Jahren wurde auf ähnliche Vorfälle heftig reagiert.
1. Cecil, der Löwe
Auf einem Jagdausflug tötete der Zahnarzt William Palmer den Löwen Cecil. Das Tier war illegal aus dem Reservat gelockt, mit einem Pfeil verwundet und erst 40 Stunden später getötet worden. Der qualvolle Tod sorgte im Netz für grosse Entrüstung: Palmer und seine Familie wurden auf sozialen Medien unter den Hastags #cecilthelion und #catlivesmatter beschimpft und gar mit dem Tod bedroht. Auf Yelp und ähnlichen Seiten wurde versucht, der Karriere des Arztes mit schlechten Kritiken zu ruinieren. Vor seiner Praxis protestierten Menschen mit Plakaten mit Aufrschriften wie «Rot in Hell» (Schmore in der Hölle). Palmer musste untertauchen und seine Praxis schliessen. Ein brutales Beispiel, das zeigt: Wenn Menschen im Internet Gerechtigkeit ausüben, werden sie manchmal zu Biestern.
2. Marius, die Giraffe
Weil Marius nicht in den Zuchtplan des Kopenhagener Zoos passte, musste die junge gesunde Giraffe sterben. Um, so der Zoo, auch einen «pädagogischen Effekt zu erzielen», wurde das Tier öffentlich mit einem Bolzenschuss getötet, vor den Augen zahlreicher Besucher – auch Kindern – seziert und an die Raubtiere verfüttert. Eine Online-Petition mit 62‘000 Unterschriften und eine Facebook-Seite mit 22‘000 Followern hatte zuvor versucht, den Tod der Giraffe zu verhindern. Nach der Schlachtung wurde der Zoodirektor in über 1500 Mails und SMS beschimpft und gar des Mordes bedroht. Der Zoodirektor sowie der Zoowärter wurden unter dem Hashtag #marius, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen und #mariusgate an den digitalen Pranger gebracht. Die Reaktionen auf sozialen Medien zeigen: Sobald es um niedliche Tiere geht, werden User besonders emotional. Fakten spielen eine untergeordnete Rolle.
3. Der Bär Finn vom Bärengraben
Auch ein Fall in der Schweiz sorgte für heftige Reaktionen: Ein geistig behinderter Mann sprang 2009 in den Bärengraben, weil eine Papiertüte mit dem Foto seiner Freundin in den Graben fiel. Der 25-Jährige erlitt schwere Verletzungen, der Bär wurde angeschossen. Beide überlebten. Obwohl der junge Mann geistig behindert war, bekam er vor Tierschützern Morddrohungen. Zusammen mit seiner Familie musste er für eine Weile untertauchen.
Diese Fälle – obwohl sie alle unterschiedlich sind – zeigen: Wenn Tiere zu Schaden kommen, zeigen sich Menschen von ihrer emotionalen, oft grausamen Seite. Vor allem im Netz sind die Reaktionen sehr heftig – wohl auch, weil das Netz die Kritik leichter macht: Denn mit wenigen Klicks oder kurzen Kommentaren können «Schuldige» an den digitalen Pranger gestellt und Massen mobilisiert werden.