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Netzwelt Wissenschaftler kommen aus dem Elfenbeinturm – und reden mit

Journalisten schreiben über das, was die Menschen bewegt. Akademikerinnen brüten über wissenschaftlichen Abhandlungen: Diese Unterscheidung will das Schweizer Online-Magazin «Geschichte der Gegenwart» aufheben. Gleichzeitig wirft es einen kritischen Blick auf die Schweizer Medienlandschaft.

Mit dem Klischee des «Elfenbeinturms», in dem Akademiker abgeschieden von der Realität an ihren Forschungen brüten, räumt nicht nur einer der ersten Artikel von «Geschichte der Gegenwart» auf. Das im Februar lancierte Online-Magazin selbst will diesem Bild etwas entgegensetzen. Fünf Zürcher Professorinnen und Professoren der Geschichte und Literaturwissenschaft bringen sich über diese Plattform jetzt in die mediale Meinungslandschaft der Schweiz ein.

«Wir wollten eine Plattform schaffen, auf der Intellektuelle, Wissenschaftlerinnen, aber auch Künstler direkt zu Wort kommen können», sagt der Literaturwissenschaftler Sandro Zanetti, Autor des «Elfenbeinturm»-Artikels und einer der Herausgeber von «Geschichte der Gegenwart».

Medienkritik als Anliegen

Die Beiträge auf «Geschichte der Gegenwart» greifen gesellschaftspolitische Debatten aus akademischer Perspektive auf. So gehen sie etwa populären Begriffen nach, wie der Vorstellung von «kulturellen Wurzeln» und «Kulturkreisen».

Daneben ist Medienkritik ein zentrales Anliegen der Plattform: Denn «Geschichte der Gegenwart» wolle eingreifen «ins Feld der immer stärker ökono­mi­schem und ideolo­gi­schem Druck unter­wor­fenen medialen Meinungs­pro­duktion der Schweiz», heisst es im Editorial.

Eine Reihe von Kommentaren und Kritiken auf «Geschichte der Gegenwart» beziehen sich auf Artikel aus Schweizer Medien: Sie wehren sich gegen anti-akademische Angriffe, wie etwa die Weltwoche sie mit ihren Kampagnen gegen Professoren, u.a. gegen Mitherausgeber Philipp Sarasin, pflegt.

Oder sie zeigen historische Verzerrungen auf: So warf Philipp Sarasin in einem vielbeachteten Beitrag der NZZ vor, sie tendiere zu Positionen, die bisher als rechtsextrem galten, nachdem diese einen Artikel des umstrittenen Publizisten Heribert Seifert abdruckte.

«Was wir zunehmend mit Sorge betrachten ist der Rechtsrutsch in den Schweizer Printmedien», erläutert der Herausgeber Sandro Zanetti. Konkret erwähnt er die personellen Wechsel bei der NZZ und der BAZ, aber auch den Wandel der Weltwoche vom linksliberalen zum rechtspopulisitschen Meinungsblatt.

Die Herausgeber

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Die Herausgeber von «Geschichte der Gegenwart» lehren an der Universität Zürich: Neben Sandro Zanetti gehören die Historikerinnen Svenja Goltermann und Gesine Krüger, die Slavistin Sylvia Sassen und der Historiker Philipp Sarasin dazu. Dieser ist morgen ab 7:50 Uhr Feuilletongast bei «Kultur Kompakt» auf Radio SRF 2 Kultur.

Geschichte als Baukasten der Gegenwart

Aber: «›Geschichte der Gegenwart‹ ist keine Retourkutsche», betont Zanetti. Vielmehr gehe es darum, in der Schweizer Medienlandschaft eigene Themen zu setzen oder aktuelle Debatten aus akademischer Sicht mit einem theoretischen Unterbau zu versehen. «Intel­lek­tuell neugierig» soll das Online-Magazin laut Selbstbeschreibung sein: «nicht neutral» aber «politisch unabhängig». Geschichte soll kein Mythos sein, sondern eine Art Baukasten der Gegenwart.

Dementsprechend will «Geschichte der Gegenwart» eine Brücke schlagen zwischen dem Vergangenen und dem Heutigen: «Nur vor dem Hintergrund der Geschichte lässt sich die Gegenwart verstehen», so Zanetti. Gleichzeitig soll das Online-Magazin eine Schnittstelle schaffen zwischen akademischer Forschung und Öffentlichkeit.

Bisher ein Freizeitprojekt

Finanziert wird das Online-Magazin über Spenden, die Beiträge werden ehrenamtlich verfasst: Als «Freizeitprojekt» bezeichnet es Zanetti. Bisher haben fast alle Gastautoren einen akademischen Hintergrund oder sind an einer Universität tätig. Doch das Ziel sei es, auch ein breites Publikum ausserhalb des universitären Umfelds, ausserhalb des «Elfenbeinturms» zu erreichen. Dies, indem Fachjargon vermieden wird: «Akademisch schreiben wir nur in dem Sinn, dass ein Artikel gut belegt und relevant sein muss.»

Einmal jährlich soll zudem ein Print-Magazin mit einer Auswahl von Artikeln entstehen: «Dieses Jahrbuch wäre nicht nur ein Rückblick auf das Jahr, sondern würde in fünf oder zwanzig Jahren aufzeigen, worin für uns die Geschichte der Gegenwart bestand.»

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