Das Wichtigste in Kürze
- Max Hawinks entwickelt Computerprogramme: Sie sollen den Apps ein Schnippchen schlagen, die uns den Alltag leichter machen wollen.
- Der Grund: Der Software-Entwickler Max Hawkins fühlte sich in einer Alltagsroutine gefangen, in der nichts dem Zufall überlassen wird.
- Ganz auf Apps zu verzichten ist für Hawkins trotzdem kein Thema.
Wissen Sie, was Sie heute Abend tun? Vielleicht empfiehlt Yelp ein neues Restaurant, und Google Maps zeigt den Weg dorthin. Spotify schlägt passende Musik vor, Netflix den besten Film und Facebook die beliebteste Party.
Solche digitalen Ratgeber sind ungemein praktisch. Aber für das Spontane, Ungeplante oder Unbequeme bleibt wenig Raum.
Digitale Halbpension
Genau das vermisste Max Hawkins. Er war früher damit beschäftigt, unsere digitale Rundumversorgung zu gewährleisten. Algorithmen steuerten nicht nur privat sein Leben. Freiberuflich entwickelte er Software für Firmen wie Google. Doch so richtig zufrieden war er damit nicht:
«Ich fühlte mich in meiner täglichen Routine gefangen. Ich brauchte eine Idee, um aus diesem Loop auszubrechen, zu dem mein Alltag geworden war.»
Also arbeitete er in seiner Freizeit daran, das zu unterlaufen, was ihm die Anwendungen auf seinem Smartphone diktierten. Er wollte den Zufall in sein Leben holen – und zwar ausgerechnet mit neuen Apps und Programmen.
Absichtliches Herumirren
Sein erster Streich: Hawkins entwickelt ein Programm, das ihm in seiner Heimatstadt San Francisco einen Uber bestellt. Das Ziel der Fahrt kennt er nicht – es wird zufällig ausgewählt. So habe er Ecken kennengelernt, von deren Existenz er zuvor nicht einmal wusste, erzählt Hawkins am Telefon.
Bei der Erinnerung an seine ersten Fahrten lacht er: «Beim ersten Test hatte das Programm noch einen Fehler. Es schickte mich immer wieder an den selben Ort – eine Irrenanstalt.»
Reisebüro des Zufalls
Hawkins entwickelte Gefallen an den absichtlichen Irr- und Umwegen. Also beschloss er, die Anwendungen auch ausserhalb von San Francisco zu testen.
Er legte ein Budget für eine Reise fest – ein Programm suchte die Stadt aus, die er bereisen sollte. Jeweils einen Monat lebte Hawkins dann dort.
Zwei Jahre lang schickte ihn seine «Random Travel Agency» rund um den Globus: nach Deutschland, Dubai oder Indien.
Vor Ort suchte ein Bot dann Lokale, Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten von Yelp und Facebook aus – unabhängig davon, wie gut oder schlecht diese bewertet sind.
Beim Hirten, Hipster und harten Jungs
Im Norden Sloweniens verbrachte er so eine Woche mit Ziegenhirten, erinnert sich Hawkins. In Berlin besuchte er einen Kurs für Lastwagenfahrer.
In Zürich – wohin er für eine Ausstellung reiste – landete er an einem Zeichner-Treffen im Cabaret Voltaire. Bei einem Barbier, der ihm einen «tollen Haarschnitt» verpasste. Und er fand sich auf einer Schafweide ausserhalb der Stadt wieder.
Tinderdates und Weihnachtslieder
«Randomized Living» nennt Hawkins sein Unterfangen. Verorten lässt es sich irgendwo zwischen Kunstprojekt, Tech-Spielerei und sozialem Experiment.
Unterdessen hat Hawkins auch einen Chat-Bot entwickelt, der für ihn über die Dating-App Tinder nach dem Zufallsprinzip Treffen vereinbart. Und einen Bot, der auf Facebook nach privaten Veranstaltungen sucht, die versehentlich öffentlich geteilt wurden.
Da fährt er hin und stellt Videos und Fotos davon ins Netz. Vor einem Jahr hat er Weihnachten im kleinen Kreis gefeiert – in einem kleinen Kreis wildfremder Menschen.
Regie der Zufälligkeit
Doch ist es nicht widersprüchlich, sich ausgerechnet von einer App leiten zu lassen, um sich unabhängiger von digitalen Helfern zu machen? Wäre es nicht viel einfacher, einfach das Smartphone aus der Hand zu geben? Max Hawkins ist sich dieses Paradoxes bewusst. Aber er will nicht auf die praktischen Aspekte verzichten.
Zum Beispiel, dass die Programme Faktoren wie Zeit und Geld einrechnen: «Meine Software hält dir den Rücken frei, damit du dein Leben unvorhersehbarer gestalten kannst.» Dass er die Apps selbst entwickle, gebe ihm zumindest ein wenig Kontrolle zurück.
Unterwegs ins Unsichere
Und: Sie fordern ihn heraus, sich auf Neues einzulassen. «Es gibt viele Missverständnisse über die Natur des sogenannten glücklichen Zufalls. Wir denken, es ist ein Dreh, der auf dem Nichts kommt – ganz plötzlich fügt sich alles. Ich denke, es ist vielmehr unsere Ausrichtung auf die Welt, die Glück bedingt.»
Kurze Pause – Hawkins weiss, das klingt nach einem Allgemeinplatz. Und er fügt hinzu: «Wir sollten dem Unsicheren viel offener begegnen.» Es klingt wie eine Anweisung an ihn selbst.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Screenshot, 13.6.17, 17:40 Uhr