Zum Inhalt springen
Ein Mann mittleren Alters mit Hornbrille und rot-weiss-gestreiftem Pullover.
Legende: Seine spitze Feder passt nicht allen: Satiriker und Kolumnist Andreas Thiel ist es gewohnt, mit seinem Humor anzuecken. Studiojeker.ch

Satiriker Andreas Thiel «Rückblickend würde ich mich als Muslim wiedergebären lassen»

Beim Thema Religion kennt Kabarettist und Satiriker Andreas Thiel keine Berührungsängste. Auf Islam und Katholizismus schiesst Thiel am meisten, was ihm auch viel Kritik einbrachte. 

Dennoch definiert Thiel auch Grenzen. Für ihn gilt: Selbst scharfer Spott und Sarkasmus bedingen eine gutmütige Grundhaltung. 

Andreas Thiel

Kabarettist, Satiriker, Kolumnist

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Andreas Thiel, geb. 1971, machte eine Lehre als Bauzeichner, wechselte aber nach seinem Lehrabschluss ins Bühnenfach und besuchte unter anderem die Schauspielschule.

Bereits mit seinem ersten Bühnenprogramm «Einsames Literarisches Kabarett», das er zusammen mit seinem Bühnenpartner Jean Claude Sassine realisierte, sorgte er in der Schweizer Kabarettszene für Aufsehen. 1999 gewann er den Salzburger Stier, zahlreiche weitere Preise folgten.

Thiel hat diverse Kabarettveranstaltungen mitbegründet, darunter den «Bösen Montag» im Theater am Hechtplatz in Zürich. Er schreibt regelmässig Kolumnen.

In seiner Streitschrift «Der Schatten des Ostens» kritisierte Thiel den Koran als eine Sammlung von Hasstiraden und bezeichnete den Islam als nicht reformierbar. Nach der Veröffentlichung seines Artikels in der Weltwoche war Thiel 2014 Gast in der SRF-Gesprächssendung « Schawinski ». Die Sendung führte zu zahlreichen Beschwerden und erzeugte ein grosses mediales Echo.

Der Satiriker tritt heute bevorzugt privat auf.

SRF: Gibt es für Sie Grenzen des Humors, wenn es um Religion geht?  

Andreas Thiel: Das kommt ganz darauf an, wie man Humor definiert. Die wenigsten unterscheiden zum Beispiel zwischen Humor und Häme. Mit Häme sind wir konfrontiert, wenn Spott oder Schadenfreude aus einer feindseligen, niederträchtigen, missgünstigen Gesinnung entsteht.

Humor hingegen setzt eine gutmütige Haltung voraus. Wer diese Voraussetzung der gutmütigen Haltung erfüllt, trifft mit seinem Spott, Zynismus oder Sarkasmus vielleicht nicht immer den guten Geschmack – aber er überschreitet auch keine Grenze. 

Sie sagten einmal, Menschen würden ihre Differenzen nur mit Humor überwinden. Ein Beispiel?

Im Gymnasium führten wir einen semesterlangen Streit gegen unseren Geografielehrer, weil uns seine Unterrichtsmethoden nicht passten. Elternrat und Rektor mussten vermitteln.

Humor ist die Erkenntnis, dass wir uns selbst nicht allzu ernst nehmen sollten. 

Irgendwann fanden die Mädchen unserer Klasse, dass wir das Kriegsbeil begraben sollten. Sie buken eine Friedenspfeife aus Grittibänzteig und schlugen in der nächsten Geografiestunde dem Lehrer vor, diese gemeinsam mit uns zu essen. 

Er war so gerührt, dass er verkündete, er werde für alle etwas zu trinken organisieren. Dann liess er uns 30 Minuten im Zimmer warten. So lange dauerte es, um im Lehrerzimmer 23 Becher Ovomaltine aus dem Automaten zu holen. Das Verhältnis zwischen ihm und uns wendete sich in der Zeit danach um 180 Grad.

Sie sagten auch in einem Interview, dass Humor die höchste Form von Erkenntnis sei. Auch in den Religionen? Und wenn ja: inwiefern? 

Diese Aussage bezieht sich auf den Buddhismus: Humor wird hier als die hohe Kunst betrachtet, emotionale Distanz zu allem zu gewinnen, was uns frustrieren oder traurig und wütend machen könnte.

Humor ist ein Charakterzug. Das ist individuell und somit religionsunabhängig.

In diesem Licht besehen ist Humor nicht nur die Erkenntnis, dass diese materielle Welt nicht so wichtig ist, sondern vor allem auch, dass wir uns selbst nicht allzu ernst nehmen sollten. 

Ein Mann mit Irokesenfrisur und Anzug hält ein Glas Champagner in der Hand.
Legende: Irokesenschnitt war gestern: Andreas Thiel 2016 am Arosa Humorfestival. Keystone / GIAN EHRENZELLER

Frustration ist das Gegenteil von Humor und entsteht, wenn man sich selber zu wichtig nimmt: Sind die Vertreterinnen und Vertreter der Religionen frustriert? 

Humor ist ein Charakterzug, mit dem man gesegnet sein, den man aber auch verlieren oder entwickeln kann. Das ist individuell und somit religionsunabhängig.

Hingegen kann man durchaus über den Humor von Religionsstiftern und Religionsvertretern streiten. Wenn Jesus von den Pharisäern mit einer Ehebrecherin konfrontiert wird und weiss, dass die damalige Auslegung des mosaischen Gesetzes die Steinigung verlangt, kann er eine solche nicht so ohne weiteres ablehnen, ohne als Häretiker angeklagt zu werden.

Es setzt schon einen vollendeten Humor voraus, um die Pharisäer aufzufordern: «Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.»

Die deutsche Komikerin Enissa Amani sagt: «Mein Job ist es, Leute aus ihrem Schmerz rauszuholen.» Sehen Sie das ähnlich? 

Ja, absolut. Und da nicht alle den gleichen Humor haben, ist es ganz gut, dass es auch sehr unterschiedliche Komikerinnen und Komiker gibt. So ist gewährleistet, dass alle etwas zu lachen haben. 

Sie bezeichneten den Koran als Sammelwerk der «Hasstiraden Mohammeds» und wurden von religiöser Seite als Ketzer beschimpft. Was sagen Sie zu diesen Reaktionen? 

Ein Mensch, der in zehn Jahren und in über 70 Schlachten mit der gesamten arabischen Halbinsel ein Gebiet erobert, das grösser ist als Europa, ist ein grosser Stratege, General und Herrscher, aber bestimmt kein Humorist. 

Ist «Ketzer» für Sie überhaupt ein Schimpfwort, eine Beleidigung? 

Wer für Kritik an seiner Person die Todesstrafe verhängt, hat wenige Kritiker. Ich bin allerdings einer von ihnen. 

Der Islam tauchte in Ihren satirischen Programmen immer wieder auf. Vertragen sich Islam und Humor besonders schlecht? 

Die wenigsten Menschen können unterscheiden zwischen der ursprünglichen Lehre und dem, was Menschen daraus machen. Wenn wir über den Islam als Lehre reden, wie sie der Koran enthält, ist das etwas anderes, als wenn wir über den Islam reden, wie ihn Menschen verstehen, die in unterschiedlichen Weltregionen unter unterschiedlichen Voraussetzungen aufgewachsen sind. Deshalb rede ich gerne über die Grundlagen, die Schriften.

Denn obwohl Jesus in den Evangelien eine wunderbare Lehre der Nächstenliebe und Verzeihung predigt, haben die christlichen Kirchen in seinem Namen Kriege geführt und Menschen unterdrückt. Obwohl die Evangelien eine wunderbare Lehre enthalten, gibt es so viele schlechte Christen.

Zum Glück haben Eltern die Tendenz, ihren Kindern Nächstenliebe beizubringen – unabhängig von der Religion, in die sie hineingeboren werden.

Im Islam ist es halt gerade umgekehrt: Obwohl der Koran aus meiner Sicht eine schlechte Lehre enthält, gibt es so viele gute Muslime. Zum Glück haben Eltern die Tendenz, ihren Kindern Nächstenliebe und Toleranz beizubringen – unabhängig von der Religion, in die sie hineingeboren werden. Dass die Kinder dies als ihre Religion auffassen, ist doch auch irgendwie beruhigend. 

Seit Ihren Äusserungen zum Islam ist es eher ruhig geworden um Sie, heute haben Sie praktisch keine Bühne mehr. Würden Sie rückblickend etwas anders machen?

Ja, rückblickend würde ich mich als Muslim wiedergebären lassen. Auch der Islam ist nur von innen reformierbar.

Das Gespräch führte Christine Schulthess.

SRF 1, Sternstunde Religion, 31.10.21, 10 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel