Rechenaufgaben langweilten Richard Beale. Als Teenager war er im Matheunterricht unterfordert. Er fing an, seine Arbeitshefte vollzukritzeln. Streunende Hunde, pompöse Schiffe, Leuchttürme und ein Huhn in Hosen zieren die Seiten, auf denen er nebenbei Gleichungen löst und mit der Formel des Pythagoras rechnet.
Soweit, so unspektakulär. Doch Richard Beale hat diese Skizzen vor über 200 Jahren gezeichnet. Würde er heute noch leben, hätte er eine beträchtliche Gefolgschaft auf Social Media. Denn Richards Skizzen von 1784 wurden nun vom Museum of English Rural Life (MERL) entdeckt und publik gemacht.
Stöbern im Archiv
Doch das Museum stellte die Skizzen nicht in ihren Räumlichkeiten aus, sondern lud das Internet zu einem unterhaltsamen Recherche-Trip ein. «Wir haben etwas Grossartiges gefunden, kommt mit uns auf die Reise», twitterte das Museum mit einem Bild, auf dem gestapelte Hefte, Blätter und Kisten zu sehen sind.
Auf den ersten Blick gewöhnliches Archivmaterial. Öffnet man es aber, kommt das Erbe von Richard zum Vorschein: skurrile, sorgfältige Zeichnungen, die den Matheaufgaben daneben die Show stehlen. Im Twitterfeed postet das Museum ein kleines Kunstwerk nach dem anderen.
Das Schulmaterial von Richard Beale ist Teil eines Bestands von 41 Tagebüchern, die von der gesamten Familie Beale stammen. Erworben hat es das MERL vor zwei Jahren. Die Skizzen des Teenagers kamen erst letzten Monat dazu.
Henne in Jeans?
Im Netz finden die Zeichnungen grossen Anklang. Der Museumsleiter Adam Koszary war zunächst entzückt von den Skizzen, dann überrascht, dass viele Twitter-User darauf reagierten, schliesslich völlig verblüfft, als auch J.K. Rowling die Arbeiten des Teenagers lobte. «Dieser Feed ist wirklich wundervoll», schrieb die «Harry Potter»-Autorin.
Prompt schlug Koszary der Beststeller-Autorin vor, ihre nächste Romanserie über «Die Abenteuer eines Hühnchens in Hosen» zu schreiben, in Anlehnung an das kuriose Geflügel in Richards Skizzen.
Rowlings Antwort? Sie sei bereits weiter, als er denke. «Die beste Freundin des Huhns ist die Ente mit der Sturmhaube», schrieb sie.
Ob der Teenager aus dem 18. Jahrhundert die Autorin tatsächlich für ihr nächstes Werk inspiriert? Jedenfalls animiert er gerade eine Horde Twitter-User, die herausfinden wollen, was es mit dem Huhn in Hosen auf sich hat: «Ist es wirklich ein Huhn? Trägt es wirklich Hosen?».
Angelangt sind die Recherchen zurzeit bei der holländischen Stadt Hensbroek: «Hensbroek» heisst wörtlich übersetzt «Hühnerhose». Ob Richard schon mal da war? Dem grossen holländischen Museum Mauritshuis ist die Skizze ebenfalls aufgefallen. Es passte eins seiner Gemälde dem Netz-Geschmack an:
Der MERL-Museumsdirektor nutzte die Gelegenheit, um Bibliotheken und Sammlungen anzupreisen: «Archive sind voll von solchen Dingen», schreibt er und hofft, dass die Popularität seiner Tweets «die Leute dazu bringen, sie zu nutzen».
Im Feed wird weiter gesucht, gescherzt und ganz nebenbei die bunte Fantasie eines Teenagers gefeiert. Auch Dank des Museumsdirektors, der sich für einen Distributionskanal entschieden hat, den der damalige Teenager wohl heute auch genutzt hätte für seine zeichnerischen Spielereien.