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Twitternder Popstar «Hey Mr. President»: Rihanna macht Politik

Rihanna haut auf Twitter Regierungschefs an. Kann sie so ihre Fans für Politik begeistern? Und warum machen das nicht auch Schweizer Künstler?

«Hey Germany», «Bonjour Emmanuel Macron», «Hey there Mauricio Macri» zwitschert Popsängerin Rihanna jüngst auf Twitter. Sie will von Regierungschefs wissen, ob sie auf finanzielle Unterstützung für Schulen in Entwicklungsländern hoffen darf.

Die Sängerin aus Barbados ist Botschafterin der Organisation «Global Partnership for Education» und richtet sich auf dem sozialen Netzwerk direkt an vier Staatschefs – vor den Augen ihrer 74 Millionen Follower und der gesamten Twitter-Community.

«Es ist natürlich ein Publicity-Stunt von Rihanna», sagt Medienpädagoge und Digitalexperte Philippe Wampfler. «So kann sie ihr Image verändern und ein Publikum ansprechen, das aus PR-Gründen interessant für sie ist.» Auch auf das Timing achtet Social-Media-Profi Rihanna.

Am bevorstehenden G20-Treffen in Hamburg soll die globale Bildungskrise diskutiert werden, und Rihanna streut fleissig den Hashtag #FundEducation in ihre Zwitscher-Zeilen auf Twitter, damit ihre Forderung Anklang findet.

Der G20-Gipfel und Rihannas junge Fangemeinde – passt das zusammen? «Vorbilder, die sich auch um politische Fragen kümmern, haben einen Effekt auf junge Leute», sagt Wampfler. «Man fängt an, sich zu interessieren: ‹Was bedeutet es eigentlich?› ‹Worum geht es bei diesem Thema?› Das ist zu begrüssen.»

Philippe Wampfler

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Lehrer, Fachdidaktiker, Kulturwissenschaftler und Experte für Lernen mit Neuen Medien. Wampfler unterrichtet an der Kantonsschule Wettingen und ist Dozent für Fachdidaktik an der Uni Zürich.

Inspirieren, informieren, mitreden

Je mehr Aufmerksamkeit politische Fragen bekommen, desto vertiefter und breiter liefen Debatten in den sozialen Netzwerken ab, sagt der Medienexperte. «Die Funktionsfähigkeit der Kommunikation misst sich daran, wie die Leute über das politische Geschehen informiert sind und wie gut sie bei politischen Fragen mitreden können», sagt Wampfler. «Und dazu kann auch Rihanna einen Beitrag leisten.»

Man könne sich auf Social-Media-Plattformen zwar solcher Diskussionen auch gut entziehen. «Dennoch bekommen auch junge Leute über soziale Netzwerke verschiedene Perspektiven mit, auch von Leuten, die sie kennen. Das ist eine gute Voraussetzung, dass man Wahlunterlagen ausfüllt, sich mit dem Thema auseinandersetzt und ein politisches Bewusstsein entwickelt.»

Twittern über die Turnhalle

Hierzulande sind viele Prominente zurückhaltend mit ihrer politischen Positionierung und ihrem Engagement. Das liege einerseits an den politischen Themen, andererseits an der politischen Kultur.

Rihannas Engagement

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Legende: Keystone
  • Engagement für Aidskranke: Rihanna und Prinz Harry lassen sich am Welt-Aids-Tag auf HIV testen
  • Mit geballter Prominenz gegen Rassismus: In diesem Video zählen Rihanna und Co. die Nichtigkeiten auf, für die unschuldige Schwarze von der Polizei getötet wurden.

«Bei den lokalen, vielleicht auch etwas langweiligen Fragen in der Schweiz, funktioniert der Prominenteneffekt weniger», so Wampfler. «Hiesige Stars können sich nicht profilieren, wenn sie den Kredit für die neue Turnhalle in Obersiggenthal unterstützen. Dann ist das nichts, wo man das Gefühl hat ‹Wow, das ist jetzt mal ein Bekenntnis zum Lokalsport.›»

Politik ist privat?

Amerikanische Netzbewegungen wie «Black Lives Matter» seien im Schweizer Kontext verständlicherweise weniger spürbar.

«Der Transfer funktioniert aber bei Feminismus- und Gender-Themen», so Wampfler. «Hier gibt es ein grösseres Identifikationspotential in der Schweiz.»

Dann beschäftige man sich nicht nur mit dem Thema, weil man diese Stars gut findet, sondern findet diese Stars gut, gerade weil sie sich für dieses Thema einsetzen. «Es geht in beide Richtungen», so Wampfler.

Meinung als Tabu

Ausserdem herrsche in der Schweiz ein gewisses Tabu. «Die politische Meinung wird nach wie vor als etwas Privates angesehen», meint Wampfler. «Hierzulande scheint es ein Playbook dafür zu geben, wie sich Prominente zu verhalten haben, damit sie nirgends anecken.»

Doch es gibt junge, bekanntere Leute, die sich nicht immer an dieses Playbook halten. «Gülsha Adilji ist eine, die ihre Meinung deutlich sagt.» Dennoch findet Wampfler: «Ein bisschen mehr Engagement in der Schweizer Promilandschaft würde der Schweiz nicht schaden.»

Vielleicht bekämen auch sie eine Antwort wie Rihanna? Fast alle Regierungschefs und -sprecher reagierten auf den Tweet des Superstars. Und sorgten dabei für Empörung und Euphorie zugleich.

«Alles, was in sozialen Netzwerken passiert, wird kritisiert», sagt Wampfler dazu. «Für die Politiker ist es eine Möglichkeit, ein Riesenpubklikum zu erreichen. Ich verstehe, dass sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und Rihanna antworten.»

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