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Umgang mit der Klimakrise Hoffnung trotz Klima-Angst: Das ermutigt die Klimajugend

Die Angst vor der Klimakrise kann für junge Menschen überwältigend sein. Doch es gibt Wege, aus der Furcht neue Kraft zu schöpfen.

Anfangs hatte Hanna Hochreutener noch keine Angst. Doch weil sich die Gymnasiastin grosse Sorgen um den Zustand der Erde machte, fuhr sie nach St. Gallen an die Klimastreiks, gemeinsam mit anderen Jugendlichen.

Für Hanna waren die Demos «überwältigend und schön». Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, mit ihren Sorgen nicht allein zu sein. Sie und ihre Freunde folgten Greta Thunberg, die der Welt zugerufen hatte: «Du bist nie zu klein, um einen Unterschied zu machen.»

Junge Frau mit Brille
Legende: Anfangs bereitet das Engagement in der Klimabewegung Hanna Hochreutener vor allem Zuversicht. zvg

Das war 2018. Die damals 14-jährige Appenzellerin war überzeugt davon, dass die Klimastreiks etwas bewirken würden. «Wir dachten: Jetzt haben die Leute verstanden, was das Problem ist», erzählt sie im Zoom-Interview.

Angst und Wut

Doch dann senkte sich die Realität wie eine Bleiplatte über die Köpfe der klimabewegten Kinder und Jugendlichen: Politische Mühlen mahlen langsam, und es kostet unerträglich viel Zeit, Entscheidungsträger zu überzeugen – während gleichzeitig in Kalifornien die Wälder brennen, Deutschland von Starkregen überflutet wird und der Meeresspiegel stetig steigt.

Zu diesem Zeitpunkt setzte bei Hanna Hochreutener die Angst ein: Als sie realisiert, dass die Klimakrise vor der Haustür steht, dass Menschen sterben. Und sie und ihre Generation dennoch ungebremst auf die sogenannten Kipp-Punkte zusteuern – auf abrupte Veränderungen in den Ökosystemen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Hell brennender Wald
Legende: Bilder wie die der Waldbrände in Kalifornien 2021 lösen bei vielen Menschen Ohnmachtsgefühle aus. Keystone / ETHAN SWOPE

«Das zu erkennen war ein sehr schmerzhafter Prozess», sagt Hochreutener: «Neben der Angst war da auch diese Wut, weil sich politisch kaum etwas bewegt.»

Die Wut markiert das sichtbare Narrativ der Klimajugend. «Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut», ist an den Demos zu hören. 

Hinter den lauten Parolen liegen bei den jungen Menschen Emotionen verborgen, die tiefer gehen als die offenkundige Wut: Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht, Trauer und Schmerz. Es gibt eine tiefe, existentielle Sorge um die Klimazukunft. Die Psychologie hält dafür einen neuen Fachbegriff bereit: «Klima-Angst».

Extrem besorgt

Wie es um das Ausmass dieser Klima-Angst global bestellt ist, hat die britische Bildungsforscherin Caroline Hickmann vor kurzem empirisch untersucht. Sie befragte 10'000 Menschen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren in zehn Ländern, die Schweiz war nicht darunter.

Die Ergebnisse, die letzten Dezember im Fachblatt «The Lancet» veröffentlicht wurden, sind beunruhigend: 59 Prozent der Befragten sind «sehr» oder «extrem besorgt» angesichts des Klimawandels. Mehr als die Hälfte ist deswegen oft traurig, angstvoll und wütend, fühlt sich machtlos, hilflos, schuldig.

«Die Wahrnehmung, dass die Regierungen bei der Klimakrise versagen, löst bei Kindern und Jugendlichen zunehmende psychische Not aus», schreibt Caroline Hickmann. Die Klima-Angst sei unter jungen Menschen sehr verbreitet, und zwar weltweit.

Global geteilte Sorge

Hanna Hochreutener kann das bestätigen: «Die Klimabewegung ist international gut vernetzt», sagt sie. «Über Social Media bekommen wir sehr nah mit, wie es Gleichaltrigen auf den Philippinen oder in Australien ergeht.»

Für viele Junge, in der Schweiz wie andernorts auf der Welt, sei die Klimakrise sehr schnell zu einer persönlichen, existentiellen Krise geworden. In ihr Tagebuch notierte Hochreutener: «Da ist tiefe Trauer und da ist Schmerz, und ich beginne zu weinen, weil es keine Wörter mehr gibt, nur noch Tränen, die fühlen.»

Emotionen sichtbar machen

Die Gymnasiastin beschloss, sich ihren Gefühlen zu stellen und widmete der Klima-Angst ihre Maturarbeit. «Zwischen Angst und Hoffnung», lautet der Titel.

Es ist eine ernsthafte, umfassende Auseinandersetzung zum Thema, mit einem theoretischen Teil und vielen Stimmen von Kindern und Jugendlichen aus Hochreuteners Umfeld.

Druck: Schwarze, zusammengekauerte Figur vor blauem Hintergrund
Legende: Hanna Hochreutener macht ihre Ängste in Linoldrucken sichtbar. Hanna Hochreutener

Ihre eigenen Gedanken und Gefühle hat Hochreutener als Teil der Arbeit künstlerisch umgesetzt, in Form von Linoldrucken und dazugehörenden Texten. So ist ein «Zine» entstanden, ein handgemachtes A5-Magazin in Kleinstauflage. «Mein Büchlein», nennt es die Gymnasiastin, 50 Stück davon hat sie gedruckt und gebunden.

«Ich fand es sehr befreiend und schön, das Thema so zu verarbeiten», erzählt sie. «Ich wollte meine Emotionen, die man mir nicht unbedingt ansieht, in etwas Sichtbares verwandeln.» Es sei ein Weg für sie gewesen, die Klima-Angst zu verarbeiten.

Zeichnung: Menschengruppe vor rotem Hintergrund, darüber sind grosse Hände gezeichnet
Legende: Die Maturarbeit untersucht, wie sich die Bedrohung durch die Klimakrise auf junge Menschen auswirkt. Hanna Hochreutener

Generation Schneeflöckchen?

Man ist versucht einzuwenden, dass auch frühere Generationen Zukunftsängste aushalten mussten: Das Waldsterben seit den 1980er-Jahren, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986, der Grossbrand von Schweizerhalle im selben Jahr, vom Kalten Krieg und der atomaren Bedrohung ganz zu schweigen.

Haben Jugendliche damals auch so sensibel reagiert oder sind heutige Jugendliche weniger widerstandsfähig? Ist die Klima-Angst ein typisches Phänomen der «Generation Schneeflöckchen», gar eine kollektive Pathologie?

«Ganz im Gegenteil», sagt die Psychotherapeutin Daniella Nosetti: «Wenn ein Auto auf Sie zurast, reagieren Sie auch mit Angst. Die Klimakatastrophe rast auf uns zu wie ein Lastwagen mit Tempo 200.» Nosetti, Jahrgang 1956, ist Mitglied bei «Psychologists for Future», einem deutschsprachigen Netzwerk von Psychologinnen und Psychotherapeuten, die die «Fridays For Future»-Bewegung unterstützen.

Die Kipp-Punkte sind nähergekommen

Die Fachfrau aus Emmen argumentiert, viele Ältere würden den Klimawandel verdrängen, zum Teil aus Unwissenheit: «Für uns in den 1950er- und 1960er-Jahren Geborenen war das alles noch weiter weg. Nur eine Minderheit war sich bewusst, was da auf die Menschheit zukommen könnte.»

Heute hingegen seien die Fakten der Klimabedrohung allgemein bekannt, der Zugang zu Informationen praktisch grenzenlos. «Die Älteren werden die Kipp-Punkte der Ökosysteme wahrscheinlich nicht mehr erleben. Aber bei den Jüngeren stehen sie direkt vor der Tür», so Daniella Nosetti.

Schild an einer Demonstration mit der Aufschrift: «There is no Planet B»
Legende: Angst sei angesichts der grossen Bedrohung eine gesunde Reaktion, sagt Psychologin Daniella Nosetti. Keystone / ANTHONY ANEX

Die Psychotherapeutin bezeichnet Klima-Angst als normale und gesunde Reaktion auf eine reale Bedrohung. Problematisch werde sie dann, wenn man nicht mehr abschalten kann.

Das passiert beispielsweise beim «Doomscrolling», dem endlosen Abrufen schlechter Nachrichten im Internet: Hier die deprimierenden Fakten aus dem jüngsten Klimabericht, da die Rekordzahlen zum CO₂-Ausstoss in Deutschland, dort die dramatischen Bilder aus dem sturmgebeutelten Madagaskar. «Wenn man da nicht mehr herausfindet, drohen Burnout und Depression», so Daniella Nosetti.

Wie gehen Hochschulen mit Ängsten um?

So weit darf es in den Augen der Studentin Eslem Demirel nicht kommen. Die 25-Jährige findet, die Gesellschaft müsse die psychische Gesundheit junger Menschen besser schützen – auch an der ETH Zürich, wo Demirel Umweltnaturwissenschaften studiert.

«Wir müssen Klima-Angst und Zukunftsangst an unseren Hochschulen unbedingt thematisieren», sagt sie atemlos während einer Veranstaltung der «Nachhaltigkeitswoche Zürich». Hier sind die Vorsteherinnen und Vorsteher der Hochschulen Zürichs versammelt, in der Runde ist auch ETH-Rektor Günther Dissertori.

Ihn hat Demirel im Visier: Sie kämpft für ein Wahlfach «Handling eco-anxiety» an der ETH. Sie stützt sich dabei auf Ergebnisse einer Umfrage bei ihren Mitstudierenden, die das Gleiche fordern.

«Wir lernen in unserem Studium so viele Skills», sagt Demirel. «Uns wird beigebracht, wie man Forschung betreibt, eine Studie schreibt und Ergebnisse in der Gruppe präsentiert. Aber wir lernen nicht, mit den Emotionen umzugehen, welche die vielen negativen Informationen des Studienstoffs in uns auslösen.»

Studentinnen und Studenten brauchen eine Zukunft

Für manche Studierende sei das so belastend, «dass sie nach der Vorlesung nach Hause gehen und heulen». Andere würden den psychischen Druck einfach verdrängen. «Das kann es nicht sein», sagt die Studentin mit Nachdruck.

An der Nachhaltigkeitswoche kommt die Botschaft an, zumindest bei ETH-Rektor Günther Dissortori: In der Schlussrunde auf dem Podium sagt er, die ETH Zürich müsse ihren Studierenden nicht nur eine Ausbildung bieten, «sondern auch eine Zukunft».

Resilienz: Gegen die Ängste gewappnet

Zu dieser Zukunft gehört Klima-Resilienz, die Gegenspielerin der Klima-Angst. Für sie macht sich der Umweltpsychologie-Verein «IPU» in der Schweiz stark. Er bietet Beratungen, Workshops und Vorträge zum Thema. «Uns geht es darum, nebst den psychologischen Mechanismen der Klima-Angst auch Lösungsansätze aufzuzeigen, wie man widerstandsfähiger wird», sagt die angehende Psychologin Flavia Gosteli, Vorstandsmitglied des Vereins.

Demonstrationsumzug
Legende: Engagement im Klimastreik – wie hier 2021 in Basel – könne für junge Menschen sinnstiftend sei, sagt Flavia Gosteli. Keystone / GEORGIOS KEFALAS

Solche Lösungsansätze sieht Gosteli etwa auf der individuellen Ebene: ein achtsamer Umgang mit sich selbst und anderen, Gespräche mit Freunden oder eine «gesunde Abgrenzung» von permanent schlechten Nachrichten, um nicht in der Problemperspektive zu verharren, sondern sich auch aktiv auf konkrete Positivbeispiele und Lösungswege fokussieren zu können. Wichtig findet Gosteli auch gemeinsames Engagement, etwa bei Klimastreiks: «Das verbindet und bestärkt Gleichgesinnte.»

Sich gegenseitig ermutigen

Diese Erfahrung hat auch Hanna Hochreutener gemacht. In der Klimagruppe Appenzell-Ausserrhoden engagiert sie sich in diversen Projekten: Sie hält Vorträge über den Klimawandel in Schulklassen, geht noch immer regelmässig an Demos.

Linoldruck: Gruppe junger menschen
Legende: Gemeinsam Mut finden: Hanna Hochreutener engagiert sich weiter in der Klimabewegung. Hanna Hochreutener

Hochreuteners «Klima-Resilienz» ist aber vor allem erstarkt, seit sie ihre Maturarbeit geschrieben und ihr «Büchlein» produziert hat. «Meine Angst überwältigt mich im ersten Moment immer noch», sagt sie. «Aber ich habe gelernt, dass diese Gefühle erstens okay sind und ich sie zulassen darf. Zweitens können sie auch etwas Positives sein, indem sie mir neuen Elan verleihen. Zum Beispiel, um mit anderen zusammen gegen die Klimakrise anzukämpfen.»

Manchmal fehle es ihr an Zuversicht, und die Verzweiflung angesichts der pessimistischen Klima-Prognosen nehme überhand. «Aber es gibt hoffnungsvolle Momente. Und an diesen halte ich mich fest.»

Hilfe bei Klima-Angst

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