Er ist nur wenig grösser als ein Spatz, und doch scheint dieser Singvogel ein ziemlich brutaler Kerl zu sein. Das Männchen zumindest sieht aus wie ein kleiner Ganove: Sein Rücken ist rostrot, der Bauch hell und er trägt eine kohlschwarze Augenbinde.
Ausserdem hat der Neuntöter einen sogenannten Falkenzahn. Dieser seitliche Zacken im Oberschnabel hilft ihm beim Töten seiner Beute – und darin ist er ein Meister. Ein alter Volksglaube besagt, der hübsche Singvogel, der zur Familie der Würger zählt, töte zuerst neun Tiere, bevor er eins fresse, daher sein Name.
Nun, diese Mär ist falsch. Ausserdem würgt der Neuntöter auch niemanden – ausser sich selbst. Dann, wenn er unverdauliche Speisereste wieder hochwürgt und ausspuckt.
Aufgespiesste Käfer in der Vorratskammer
Dennoch möchte man dem Neuntöter nicht begegnen, zumindest nicht als Maikäfer, Libelle, Hummel oder Heuschrecke. Mit solchen Grossinsekten geht der kleine Neuntöter nämlich wenig zimperlich um. Er überwältigt die Insekten im Flug und verschwindet mit seiner Beute in einer stachligen Hecke.
Dort, in seinem Zuhause, spiesst er sie auf Dornen und kleinen Ästen auf. Das ist seine Art, für Schlechtwetterperioden vorzusorgen. Mehr als zwei Dutzend Maikäfer kann eine solche Vorratskammer umfassen. Auch junge Mäuse findet man zuweilen aufgespiesst im dornigen Zuhause des Neuntöters und sogar Blindschleichen, die grösser sind als der Neuntöter selbst.
Wo der Neuntöter lebt, herrscht grosse Artenvielfalt
Von ungefähr kommt sein Name also nicht. Der Neuntöter ist ein angriffiger Kerl – auch gegenüber Menschen, etwa wenn sie ihn beringen wollen. Dann pickt er seine Widersacher manchmal gezielt am Kopf. Dennoch sind Naturschützer angetan von ihm. Denn dort, wo er vorkommt, gibt es immer eine reiche Artenvielfalt – nicht nur aufgespiesst in Hecken, sondern auch lebendig in der grünen Natur.
Sendung: Radio SRF2 Kultur, Kultur-Aktualität, 20.04.2016, 08:20 Uhr.