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Gefährdetes Ökosystem Wie der Klimawandel die atemberaubende «Tierra del Fuego» bedroht

Der einsame Landstrich zwischen Argentinien und Chile gehört zu den schönsten Landschaften der Welt. Doch der Klimawandel ist auch am Steissbein Südamerikas angekommen.

Blauer Himmel und 18 Grad sind es in Ushuaia am südlichsten Zipfel Argentiniens. Die Natur gibt sich freundlich. Der Wetterbericht hat hier noch seine Berechtigung: Wind, Eisstürme, Hagel, Sonne, Regen – die Jahreszeiten vermählen sich im «Land des Feuers» an einem einzigen Tag. Das sagen seine Bewohner über den einsamen Landstrich mit doppelter Staatsbürgerschaft (zwei Drittel argentinisch, ein Drittel chilenisch).

Um uns herum: schneebedeckte Berge und Gletscher. Das Wasser ist tiefblau und sauber. Die Darwin-Gebirgskette bildet die letzte grosse Erhebung der Anden vor dem Ende Südamerikas. Zugleich befindet sich hier ein wichtiges Süsswasserreservoir für die Welt.

Fahrt zwischen Pinguinen und Buckelwalen

Ein Ökosystem, in dem Pinguine, Seelöwen, Delfine und Buckelwale leben. Doch Tiere, die durch Plastikmüll schwimmen oder sich in Plastiknetzen verfangen? «Nein, das gibt es hier nicht», erklärt die chilenische Biologin Alicia Gallorobi.

Mit unserem Expeditionsschiff geht es zur Wulaia Bucht auf der Insel Navarino. Dort befand sich einst die grösste Siedlung der Yámana, die zu den Ureinwohnern Feuerlands zählen.

Ein Schlauchboot hängt an einem Seil über dem Wasser.
Legende: Mit diesen Schlauchbooten schippern die Expeditionsteilnehmenden übers Wasser. Michael Marek

An diesem geschichtsträchtigen Ort geht es in schwarzen motorbetriebenen Schlauchbooten über das eiskalte Wasser. Vorher müssen alle Expeditionsteilnehmenden zum Schutz des fragilen Ökosystems in einer Wanne ihre Schuhe desinfizieren.

Fakten zu Feuerland

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  • Vermutlich am 1. November 1520 entdeckte Fernão de Magalhães im Dienst der spanischen Krone eine Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik. Bis heute trägt die Passage zwischen dem südamerikanischen Festland und der Insel Feuerland seinen Namen.
  • 1616 wurde Kap Hoorn vom niederländischen Seefahrer Willem Corneliszoon Schouten entdeckt. Jahrhunderte gehörte die Umrundung der Isla Hornos zu den gefürchteten Schiffspassagen der Welt.
  • Vor der Fertigstellung des Panamakanals 1914 galt der Weg um Kap Hoorn als die einzige befahrbare Route, um Südamerika zu umschiffen. Eine Alternative gab es nicht.
  • Schätzungen besagen, dass mehr als 800 Schiffe vor Kap Hoorn sanken und etwa 10'000 Seeleute umkamen. Lange vor den europäischen Entdeckern und Kolonialisten hatten die Ureinwohner Kap Hoorn in kleinen, einfachsten Booten umrundet.
  • Anthropologen schätzen, dass die Ureinwohner vor ca. 10'000 Jahren nach Patagonien und Feuerland kamen, bevor sie von den Weissen vertrieben und ermordet wurden.

Schleichende Bedrohung des Ökosystems

Unterwegs durch die Wildnis findet sich nicht das winzigste Stück Müll. Kein Fischernetz, kein Treibgut, kein Styropor. Allerdings habe man im Mageninhalt der antarktischen Königskrabbe bereits Mikroplastik gefunden, sagt Expeditionsleiter Marcelo Gallo. Das sei fatal, denn die Krustentiere sind ein wichtiger Teil der Ernährungskette.

Tierro del Fuego ist auch die Heimat mehrerer Pinguinkolonien. Langsam würden die Eingriffe des Menschen in die Natur sichtbar, erzählt Gallo. Plastikmüll beispielsweise aus Ushuaia verunreinige Pinguinnester und sei bereits in den Mägen und Exkrementen der schwarz-weissen Vögel gefunden worden.

Und: Der Ozean sei wärmer geworden – mit der Folge, dass erwachsene Pinguine länger nach Nahrung suchen müssten und die Jungen in dieser Zeit schutzlos Raubvögeln ausgesetzt sind. Auch der zunehmende Tourismus, so Gallo, bedrohe das Ökosystem.

Weich wie ein Flokati-Teppich

Auf unserer Fahrt durch Feuerland geht es weiter zum Gletscher des Adlers. Entlang einer Lagune wandern wir durch einen subantarktischen Regenwald, der vor Nässe trieft, dessen Boden aber weich wie ein Flokati-Teppich ist. Ein zeitloser Ort des Regens, sagt Naturkundler Enzo Mardones.

Ein Wald mit Moos am Boden
Legende: Wie ein Flokati-Teppich: der regengetränkte Boden des Regenwaldes. Michael Marek

Wenn man den Magellanischen Regenwald mit den Tropen vergleiche, dann kann man feststellen: «Die Zahl der Regenbäume ist in den Tropen viel höher. Hier wachsen die Bäume auch nicht so hoch.«

Der Gletscherallee entlang zum Klimawandel

Die feuerländische Stille, die Schönheit der Natur mit ihren schneebedeckten Bergen und subantarktischen Regenwäldern, die den südpolaren Stürmen trotzen, machen sprachlos. Am nächsten Morgen gleitet das Expeditionsschiff entlang der Gletscherallee. Am Pia Gletscher gehen wir vor Anker, einem von 632 des Darwin-Eisfeldes. Die meisten von ihnen sind unerforscht und unberührt.

Gletscher mit brauem Sand drumherum
Legende: Der «Gletscher des Adlers» bietet eine mystische Aussicht. Michael Marek

Dieses Eisfeld ist ein Überrest der letzten grossen Vergletscherung, die vor ungefähr 12'000 Jahren zu Ende kam. Im Laufe des letzten Jahrhunderts haben sich einige Gletscher zurückgezogen, beispielsweise der berühmte Marinelli-Gletscher, so Mardones. Verantwortlich dafür: der Klimawandel.

Widersprüchliches Wachstum

Aber es gebe auch Gletscher, die am Wachsen sind. «Einige Gletscher widersprechen der globalen Tendenz. Deswegen kommen die Glaziologen hierher, um das Phänomen zu erforschen.»

Stundenlang könnte man die weissen Berge voller Zacken und Zähne mit ihren scharfkantigen Graten anstarren. Das Weiss wird von leuchtend blauen Linien durchzogen, als hätte jemand Blue Curaçao über den gefrorenen Schnee gekippt. Vor dem Gletscher schwimmen kleine abgekalbte Eisberge.

Das Ende der Fahrt ist Punta Arenas: Die grösste Stadt vor der Antarktis wurde 1848 gegründet. Auf dem Stadtplatz steht ein Monument zu Ehren von Fernando Magellan.

Eine Statue mit einer Kanone
Legende: Siegessicher thront Fernando Magellan in Punta Arenas auf der Kanone. Michael Marek

Machtbewusst mit einem Bein auf einer Kanone, den Kopf triumphierend in die Höhe gereckt, blickt der portugiesische Kapitän in die Ferne. Ihm zu Füssen kauern rechts und links zwei besiegte Ureinwohner – in den Händen Speer, Pfeil und Bogen. Nicht demütig, aber mit gesenktem Blick.

Sendung: Radio SRF2 Kultur, Passage, 23.04.2021, 20:00 Uhr

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