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Graubünden steht vor Systemwechsel bei den Wahlen
Aus Regionaljournal Graubünden vom 19.05.2021. Bild: SRF
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Majorz oder Proporz Neunter Anlauf für neues Bündner Wahlsystem

In Graubünden kommen drei kantonale Vorlagen zur Abstimmung. Darunter ein neuer Wahlmodus für das Kantonsparlament.

Die Diskussion darüber, wie die 120 Bündner Kantonsparlamentarierinnen und -parlamentarier gewählt werden sollen, ist ein Dauerbrenner im Bergkanton. Schon mehrfach wurde darüber abgestimmt.

Gewählt wird aktuell im Majorz. Wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen bekommt, darf im Grossratsgebäude Platz nehmen. Köpfe und Persönlichkeiten, lokal bekannte Politikerinnen und Politiker aus etablierten Parteien sind im Vorteil. Grosse Parteien sind im Verhältnis zu ihrem Wähleranteil überproportional vertreten. Neben Graubünden wählt nur Appenzell Innerrhoden auf diese Art und Weise.

Video
Aus dem Archiv: Doppelproporz – neues Wahlsystem für Graubünden
Aus Schweiz aktuell vom 17.05.2021.
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Unter Zugzwang

Nun steht Graubünden vor einem Systemwechsel, bei welchem das Bundesgericht eine entscheidende Rolle gespielt hat. Die Lausanner Richter stellten im Juli 2019 fest, dass das Bündner Majorz-Modell teilweise der Bundesverfassung widerspreche.

Für die Wahlen 2022 braucht Graubünden nun ein neues Wahlmodell. Nach einer Analyse der Regierung und einigem politischen Seilziehen hinter und vor den Kulissen wird nun erneut über ein Proporz-Modell abgestimmt.

Das neue Doppelproporz-Modell

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Das 120-köpfige Kantonsparlament soll nach dem Doppelproporz-Modell gewählt werden. Der Wählerwille soll mit diesem System möglichst genau abgebildet werden. Verschiedene Kantone kennen dieses Wahlverfahren bereits, darunter Zürich, Schwyz oder Schaffhausen. Verteilt werden die Sitze in zwei Schritten:

  • Mit der Oberzuteilung werden alle abgegebenen Stimmen im Kanton berücksichtigt. Dabei wird ermittelt, welche Liste oder Partei insgesamt wie viele Stimmen erhalten hat. Anhand dieses Ergebnisses wird errechnet, wie viele Sitze den einzelnen Gruppierungen künftig im Parlament zustehen. Die Sitze werden proportional zu den Wähleranteilen vergeben. Nur Parteien, die eine Drei-Prozent-Hürde überspringen, haben Anspruch auf einen Sitz.
  • Mit der Unterzuteilung wird quasi die Feinverteilung gemacht und bestimmt, wie viele Sitze die verschiedenen Parteien in den Wahlkreisen geholt haben.

Gewählt würde weiterhin in den traditionellen 39 Wahlkreisen. 19 davon können wegen ihrer Bevölkerungszahl nur einen Vertreter oder eine Vertreterin nach Chur schicken.

Bei diesen Wahlkreisen könnte es bei der Feinverteilung der Mandate zu gewissen Verzerrungen kommen. Es wäre möglich, dass in einem Wahlkreis eine kleinere Partei, dank Stimmen aus anderen Wahlkreisen den Sitz bekommt, obwohl sie weniger Stimmen erhalten hat als andere Parteien in diesem Wahlkreis.

Besonders in Einerwahlkreisen würde eine solche Verzerrung von der Bevölkerung kaum akzeptiert, war sich die Regierung im Vorfeld sicher. Sie hat deshalb einen Kniff eingebaut, eine Majorzbedingung. Die schreibt vor, dass in jedem Wahlkreis die stimmenstärkste Partei immer mindestens einen Sitz erhält - falls die Partei gesamtkantonal auf den Sitz Anspruch hat. Somit würde in einem Einerwahlkreis der Sitz immer an die stärkste Partei im Kreis gehen.

Die Ausgangslage ist heute nicht nur wegen des Bundesgerichts-Urteils eine andere als früher. Vor der aktuellen Abstimmung haben sich die Reihen bei den Parteien mehrheitlich geschlossen. SP, GLP, BDP, SVP, FDP und Grüne ziehen in eine Richtung und stehen hinter dem Systemwechsel.

Bundesgericht
Legende: 2019 sorgte das Bundesgericht in Lausanne für das Ende des Bündner Majorz-Modells. Keystone

Abwesend ist die CVP: Die Delegierten haben Stimmfreigabe beschlossen. Die Partei findet es falsch, dass wieder ein Proporzsystem zur Abstimmung kommt, obwohl es andere Möglichkeiten gegeben hätte. Doch Graubünden brauche bis 2022 ein neues Wahlsystem, deshalb gebe es keine Nein-Parole.

Nach Jahren der Grabenkämpfe beim Thema Wahlsystem spricht das überparteiliche Pro-Komitee mittlerweile von einem «Bündner Kompromiss». Ein zentraler Punkt beim neuen System sind die 39 Wahlkreise, die bestehen bleiben. Somit würden auch weiterhin die kleinen Talschaften im Parlament vertreten sein.

Karte
Legende: Jeder Wahlkreis würde weiterhin mindestens einen Grossrat oder eine Grossrätin nach Chur schicken können. Kanton Graubünden

Weiter heben die Befürworter hervor, dass mit dem neuen Modell keine Stimme mehr verloren gehe und jede Stimme das gleiche Gewicht habe; egal, ob sie in einem grossen oder kleinen Wahlkreis abgegeben werde.

Wahlsystem als Dauerdiskussion

In Graubünden wurde in den letzten rund 80 Jahren bereits acht Mal über einen Wechsel vom Majorz zum Proporz abgestimmt. Die Widerstände in der Vergangenheit waren zum Teil, insbesondere von bürgerlicher Seite, beträchtlich. Sämtliche Anläufe scheiterten.

Eine besondere Episode im Wahlsystem-Krimi ereignete sich im Jahr 2003. Nach der Abstimmung wähnten sich die Proporz-Befürworter endlich am Ziel. Doch das Ergebnis war derart knapp, dass nachgezählt werden musste – das Resultat kippte. Später wurde die Abstimmung sogar wiederholt. Am Schluss stellte sich die Bevölkerung hinter das Majorz-Modell.

Die weiteren Vorlagen in der Übersicht

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1. Initiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd»

Die Initiative des Vereins Wildtierschutz Schweiz verlangt mehrere Anpassungen bei der Bündner Jagd. Insgesamt geht es um neun Punkte.

Im Visier haben die Initiantinnen und Initianten unter anderem die Sonderjagd im Spätherbst, die abgeschafft werden soll. Weiter soll die Jagd auf Vögel generell verboten werden und Kinder unter 12 Jahren dürften nicht mehr mit auf die Jagd gehen.

Die Jagd müsse reformiert werden, um dem Tierschutz mehr Rechnung zu tragen, sagen die Initianten.

Das Kantonsparlament sieht im Gesamtpaket einen grundsätzlichen Angriff auf die Jagd als Institution. Die Initiative schwäche mit der Senkung des Jagddrucks auf Hirsch und Reh den Schutz der Wälder vor Verbiss.

Die Jagdinitiative wird von der Regierung, dem Parlament und den Parteien zur Ablehnung empfohlen.

2. Abschaffung der Mutterschaftsbeiträge

Das Gesetz über die Mutterschaftsbeiträge soll abgeschafft werden. Mutterschaftsbeiträge richten sich an Mütter oder Väter, die kurz nach der Geburt in finanziellen Schwierigkeiten geraten.

Das Instrument setze falsche Anreize und hemme die Absicht Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, hielt die Regierung fest.

Neu sollen die familienergänzende Kinderbetreuung gestärkt und die Mutterschaftsbeiträge gestrichen werden. Dagegen hat ein Komitee das Referendum ergriffen. Das ganze sei ein Sozialabbau bei den Ärmsten.

Gegen die Abschaffung engagieren sich verschiedene Verbände, Gewerkschaften, die SP, die Grünen aber auch die SVP.

SRF1, Regionaljournal Graubünden, 19.05.2021, 17:30 Uhr

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