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Eine Frau mit einem Baby im Arm wird von einem Helfer zu einer Ambulanz begleitet.
Legende: An Bord waren auch viele Frauen und Kinder aus Syrien. Sie wurden ins Spital gebracht. Keystone

International «Staaten schieben sich Flüchtlingsschiffe gegenseitig zu»

Die italienische Marine hat am Morgen einen Frachter mit mehreren hundert Migranten an Bord in den Hafen von Gallipoli begleitet. Die Schlepper hätten sich zuvor abgesetzt und die Menschen ihrem Schicksal überlassen, sagt Philipp Zahn.

Philipp Zahn

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Philipp Zahn berichtet für SRF aus Italien und dem Vatikan. Er lebt seit 1995 in Rom. Zahn studierte Geschichte, Volkswirtschaft und Philosophie in Berlin und Siena.

SRF: Ist inzwischen klar, wie viele Flüchtlinge an Bord des Frachters «Blue Sky M» waren und woher sie kamen?

Philipp Zahn: Man spricht in Italien jetzt davon, dass 970 Menschen an Bord waren. Also weitaus mehr als die bisher gemeldeten 600. Es sind fast ausschliesslich Syrer. Darunter ganze Familien, das heisst, auch viele Frauen und Kinder. Sie wurden alle vom Frachter geleitet. Über 100 wurden ins Spital von Gallipoli zu ersten medizinischen Untersuchungen gebracht. Allen geht es mehr oder weniger gut.

Das Schiff war offenbar tagelang in der Adria unterwegs. Was weiss man über diese Odyssee, die der Frachter hinter sich hat?

Es gibt mittlerweile einige Klarheiten, aber auch noch viele dunkle Punkte. Wenn man die letzten 24 Stunden rekonstruiert, dann begann alles mit einem Hilferuf über ein Satellitentelefon gestern Nachmittag. Angerufen wurde die italienische Küstenwache, die dann aber wiederum die griechischen Kollegen benachrichtigte, weil sich das Schiff noch in deren Hoheitsgewässern befand. Dann beginnen die ersten Fragezeichen. Die Griechen seien per Helikopter an Bord des Schiffes gelangt, hätten eine kurze Inspektion gemacht und mit einem angeblichen Kapitän gesprochen, der behauptet haben soll, dass alles in Ordnung sei. Das Schiff suche in der Nähe von Korfu nur vor dem schlechten Wetter Schutz und nehme dann weiter Kurs auf Kroatien. Damit haben die Griechen das Schiff wieder verlassen. Die Frage ist: Haben sie überhaupt in die Frachträume geschaut?

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Es gab anscheinend später noch einen zweiten Hilferuf...

Ja. Die Italiener haben festgestellt, dass das Schiff in Richtung italienischer Küste unterwegs war, und haben dann selbst – drei Seemeilen vor ihrer Küste – eine Marinebesatzung an Bord geschickt. Und diese stellte fest, dass keines der Besatzungsmitglieder mehr an Bord war, und dass das Schiff quasi mit dem Autopiloten auf die italienische Küste zusteuerte.

Das Menschengeschäft im Mittelmeer bringt mehr Geld ein als der Drogenhandel.

Ein Frachter mit hunderten von Flüchtlingen – ist das für Italien eine neue Dimension?

Eine neue Dimension ist es sicher hinsichtlich der Skrupellosigkeit der Schlepper. Denn wenn man den Fall jetzt so weiter verfolgt, dann heisst das, dass sich die Schlepper nach dem ersten Hilferuf und nach der Inspektion durch die griechische Küstenwache vom Schiff abgeseilt haben. Sie sind irgendwo untergetaucht – vielleicht in Griechenland oder in Albanien. Sie haben die 970 Flüchtlinge sich selbst überlassen. Das zeigt auf der anderen Seite aber auch, dass sich die Anrainerstaaten im Mittelmeer die Flüchtlingsschiffe gegenseitig zuschieben. Denn wenn es so ist, dass die Griechen das Schiff eigentlich schon in Obhut hätten nehmen müssen, aber die Augen verschlossen, um es in Richtung Italien ziehen zu lassen, beweist das, wie wenig Abstimmung zwischen Griechenland und Italien besteht. Tatsache ist: Italien hat jetzt fast 1000 neue Flüchtlinge in Süditalien und muss diese versorgen.

Man hat den Eindruck, das Geschäft mit den Flüchtlingen wird immer lukrativer. Täuscht der Eindruck?

Nein, absolut nicht. Wir reden hier von neuen Dimensionen, was die Grösse angeht. Wenn auf einem Frachter fast 1000 Menschen sind, dann ist das natürlich ein enormes Geschäft für die Schlepper. Man spricht in Italien davon, dass dieses Menschengeschäft im Mittelmeer viel mehr Geld einbringt als zum Beispiel der Drogenhandel. So gesehen ist damit zu rechnen, dass auch in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin Flüchtlinge in Italien ankommen. Dies obwohl gerade in der Winterzeit keine gute Saison ist für Menschenschlepper auf hoher See, bei stürmischem Wetter. Wenn man aber Frachter verwendet, grosse Schiffe, um Menschen in grosser Zahl vom östlichen ins westliche Mittelmeer zu transportieren, dann gibt es für Schlepper keinen Winter und keinen Sommer mehr.

Das Gespräch führte Susanne Schmugge.

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