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Kolumbien: Worte statt Waffen Die Wiedergeburt einer Guerilla – als politische Partei

Am Sonntag wählt Kolumbien ein neues Parlament. Um Stimmen buhlen auch Ex-FARC-Kämpfer.

Noch vor wenigen Monaten trug Benedicto González eine Uniform und war bewaffnet. 17 Jahre verbrachte er als Kämpfer der FARC-Guerilla im Urwald. Nun macht er Wahlkampf für die Parlamentswahlen am Sonntag, bei denen die neu gegründete Partei erstmals antritt – mit den alten Insignien.

«Keine Waffen zu tragen hat Vorteile», sagt González. «Früher haben uns die Leute möglicherweise aus Angst beigepflichtet. Heute stimmen sie zu, weil sie überzeugt sind.» Doch ein bisschen schutzlos fühle er sich schon ohne Waffe, das gibt er zu.

Seine Sorge ist nicht ohne Grund. Seit der Entwaffnung, die im letzten Herbst endete, sind bereits mehr als 40 Mitglieder der FARC ermordet worden. Die ehemaligen Guerilleros haben viele Feinde im Land. Deshalb macht die FARC in diesem Wahlkampf eher kleine Veranstaltungen, der Kampagnenabschluss findet in einem geschlossenen Raum statt.

Und ihre Kandidaten sind mit bewaffneten Bodyguards unterwegs. Auch die Polizei – bis vor kurzem noch Gegner – schützt die Ex-Guerilleros und führt am Eingang von Wahlkampfveranstaltungen Taschenkontrollen durch.

Das Friedensabkommen, das vor anderthalb Jahren unterzeichnet wurde, sichert den ehemaligen Rebellen zehn von 268 Parlamentssitzen zu – fünf im Senat, fünf im Abgeordnetenhaus. Und zwar egal, wie viele Stimmen sie am Sonntag bekommen.

Opfer reagieren unterschiedlich

Das stösst manchen unangenehm auf. Etwa Luis Mendieta, er war beinahe zwölf Jahre von der FARC-Guerilla entführt. «Die Umstände waren unmenschlich. Wir waren Tag und Nacht angekettet», erinnert sich der Polizei-General.

Mann mit Holzfigur.
Legende: Zuhause hat Mendieta eine Holzfigur stehen, angefertigt von einem Künstler, auf der Basis von Fotos, die die FARC während seiner Entführung als Überlebensbeweise an die Familie schickten. SRF/ K. Naundorf

Zwar ist er für den Friedensprozess – aber nicht so. Die Mitglieder der FARC hätten zunächst vor ein Gericht, vor eine Wahrheitskommission gehört, findet Mendieta: «Dass sie direkt ins Parlament einziehen, damit bin ich nicht einverstanden.» In seinem Arbeitszimmer steht eine lebensgrosse Holzskulptur. Sie zeigt Mendieta als Geisel – abgemagert, in Ketten, auf einem Baumstamm sitzend.

Nicht alle Opfer stehen dem Friedensprozess so kritisch gegenüber. Besonders in den Konfliktregionen wünschen sich viele Kolumbianer, dass die Vereinbarung wie geplant umgesetzt wird.

Auch Bertha Fries setzt sich dafür ein. Sie wurde 2003 in Bogotá bei dem grössten Attentat, das die FARC in einer kolumbianischen Grossstadt verübte, unter Trümmern begraben. 36 Menschen starben. Fries überlebte – aber wurde an der Wirbelsäule verletzt. Acht Jahre konnte sie nicht ohne Hilfe gehen.

Und trotzdem: «Die FARC hat die Waffen abgelegt, also müssen wir den Hass begraben», sagt sie. «Ausserdem ist es doch besser, die FARC sitzt im Parlament, anstatt dass ihre Anhänger bewaffnet sind – und wir einmal wissen, wo sie sich aufhalten.»

Nicht alle politischen Parteien in Kolumbien akzeptieren den Friedensvertrag – und die künftige politische Vertretung der FARC im Parlament. Etwa die Partei Centro Democrático von Ex-Präsident Alvaro Uribe.

Senator José Obdulio Gaviria erklärt: «Wir bereiten bereits ein Plebiszit vor, um die Parlamentssitze der FARC rückgängig zu machen, spätestens in der nächsten Legislaturperiode.» Das käme in den Augen der FARC einer Demontage des Friedensprozesses gleich.

Wahlkämpfer Benedicto González weiss, dass die Wahlen am Sonntag eine Schicksalswahl für die FARC sind: Gewinnen die Hardliner im Parlament Oberhand, stehen der FARC harte Zeiten bevor. Gewinnen linke oder gemässigte Kräfte, wird der in Havanna unterzeichnete Vertrag vermutlich respektiert.

Doch schon jetzt wächst an der FARC-Basis, bei den entwaffneten Kämpfern, das Misstrauen. Bis zu 1500 von ihnen sollen bereits in den Untergrund zurückgekehrt sein. Wichtig ist der Verlauf des Friedensprozesses auch für weitere Verhandlungen mit der noch aktiven ELN-Guerilla. Deren Kämpfer beobachten genau, ob die Regierung der FARC gegenüber Wort hält.

FARC-Präsidentschaftskandidat tritt zurück

Benedicto González ist trotzdem guter Dinge. Er besucht heute eine kleine Gruppe von Bauern, die ihm wohl gesinnt sind – ein angenehmer Wahlkampftermin. Als Eisbrecher dient ihm die Musik: Akkordeon, Gitarre, Gesang. Dann erklärt er das Parteiprogramm – dazu gehören eine Landreform, mehr kostenlose Bildungsmöglichkeiten, Verbesserungen im Gesundheitssystem.

Der Ex-Guerillero konzentriert in diesen Tagen alle Energie auf die Parlamentswahlen am Sonntag. Denn der Präsidentschaftskandidat, den die FARC für die Wahlen im Mai aufstellen wollte, wurde diese Woche am offenen Herz operiert – und trat von der Kandidatur zurück. Für die FARC ändert dies nicht viel: Rodrigo Londoño alias Timochenko lag in Umfragen ohnehin nur bei ein bis zwei Prozent.

«Manchmal kann ich es immer noch nicht glauben, dass wir nun auf öffentlich Bühnen stehen», sagt Benedicto González. Er werde sich der Sonderjustiz stellen. Und verspricht, nur noch mit Worten zu kämpfen – nicht mehr mit Waffen.

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