Aus Simbabwe gibt es wenig Positives zu berichten. Die Wirtschaft liegt lahm – abgesehen von China investiert kaum jemand. Die Preise für Lebensmittel und Benzin steigen. Kurz, das Leben der Bevölkerung wird immer schwieriger.
Das zumindest hat auch die Regierung wahrgenommen und in der zweitgrössten Stadt Bulawayo wieder den Betrieb eines Pendlerzugs eingeführt. Es ist der einzige Pendlerzug im ganzen Land.
Fünf Uhr in der Früh, in einem der Aussenquartiere von Bulawayo. Die Suche nach der Zugstation gestaltet sich schwierig. Es ist noch dunkel. Die wenigen Passanten, die man fragen kann, weisen in Richtung eines Felds. Dort befände sich die Station, beteuern sie. Durch hohe Gräser windet sich ein Fussweg, den wir etwas zögerlich betreten. Die Welt ist still, die Vögel singen noch nicht und abgesehen von uns ist niemand unterwegs.
Plötzlich liegen die Gleise vor uns, und aus den Gräsern ragt ein verwittertes Schild. Ein Perron gibt es nicht, man setzt sich auf einen vor sich hin bröckelnden Betonblock. Aus dem Nirgendwo erscheint ein Billetverkäufer in oranger Weste. Wir sind hier also richtig.
Langsam tauchen immer mehr Leute auf. Sie scheinen aus dem Nichts zu kommen, denn in der unmittelbaren Nähe stehen keine Häuser. Die Jungs, die zur Schule fahren, binden sich noch die Krawatte um. Einer schlüpft erst auf dem Gleis in die Schuluniform, die hier alle tragen. Sie wirken unbekümmert und träumen davon, Soldaten oder Ingenieure zu werden.
Ein Pfiff in der Morgenröte und die dieselbetriebene Lokomotive taucht auf. Dieser Pendlerzug wurde erst vor kurzem aus dem Dornröschenschlaf erweckt, in den er vor 13 Jahren von Ex-Präsident Robert Mugabe versetzt worden war. Unter ihm brach das ganze Eisenbahnsystem Simbabwes zusammen.
Nachfolger Emmerson Mnangagwe will nun wieder in die Eisenbahn investieren, um die gelähmte Wirtschaft zu beleben. Dafür hat er 2.5 Millionen Dollar investiert.
Das Einsteigen ist gar nicht so einfach, die ersten Stufen sind recht hoch. Noch gibt es freie Plätze – so überfüllt wie in anderen Teilen Afrikas ist dieser Zug nicht. Es geht diszipliniert zu und her. Etliche Billetverkäufer sorgen dafür, dass alle den Preis für eine Einfachfahrt von rund 25 Rappen bezahlen. Dies ist der staatlich subventionierte Preis. Der Zug transportiert jeden Tag rund 2000 Personen.
Nelson Kamanga arbeitet beim staatlichen Kohlewerk von Bulawayo – einem der wenigen Unternehmen, das noch nicht kollabierte. Er verdient pro Monat gerade mal 100 Franken, darum ist für ihn der Zug überlebenswichtig. Denn seit sich die Benzinpreise verdoppelt haben, kostet eine Fahrt mit dem üblichen Transportmittel, den privaten Minibussen, dreimal soviel. Dass die Fahrt mit dem Zug viel länger dauert und dass er nur einmal in die Stadt fährt, nimmt er gerne hin.
Trotz herrschender Armut hat auch hier beinahe jeder ein Smartphone, häufig ein Huawei aus China. Das kostet am wenigsten und bietet meist die beste Internetverbindung. Wie im Tram in Bern oder im Zug nach Zürich starren auch hier die meisten auf einen Screen, chatten in einer Whatsapp-Gruppe oder spielen zusammen.
Sie sind beste Freundinnen und beide wollen Buchhalterinnen werden. Warum? Weil man damit, und das glauben in Simbabwe viele, am meisten Geld verdient. Sie singen jeden Sonntag im lokalen Kirchenchor und legen ihre ganze Hoffnung in Gott.
Was nicht mehr funktioniert, wird in Afrika selten entsorgt, sondern verwandelt sich mit der Zeit in historische Monumente, die sich mit den Jahren immer mehr in die Natur integrieren. Diese Eisenbahnwagen würden in Europa zu Kult erklärt und für Urban Gardening in Gemüsebeete verwandelt. Hier in Simbabwe verkommen sie zum Inventar einer deprimierenden Geschichte.
Nach ruckeligen 90 Minuten taucht der Bahnhof von Bulawayo auf. Die zweitgrösste Stadt Simbabwes hat eine Million Einwohner und gehörte einmal zu den produktivsten Städten des Landes. Hier wurden Autos produziert und Bulawayo war das Zentrum des Eisenbahnverkehrs. Doch die Stadt wurde von allen Präsidenten gezielt ignoriert, weil hier die Minderheit der N’debeles lebt, die es in Simbabwe generell schwer hat.
Ein funktionierendes Eisenbahnnetz schafft nicht nur Arbeitsplätze für Billetverkäufer und Lokomotivführer, sondern auch viele informelle Arbeitsplätze, dank denen die Menschen letztlich überleben. Dazu gehört dieser Verkäufer, der kaum einen Gewinn macht, aber noch mehr als in der Schweiz zählt hier jeder Rappen.
Bulawayos Hauptbahnhof ist mehr als hundert Jahre alt. Die Zugverbindung zwischen Kapstadt und Bulawayo existierte bereits Anfangs des 20. Jahrhunderts und wurde bis zu den Victoriafällen ausgebaut. Ab und zu fährt hier ein südafrikanischer Luxuszug durch. Die Touristen knipsen einige Bilder und kaufen allenfalls ein Souvenir.
Die Pendler schwärmen zu ihren miserabel bezahlten Arbeitsplätzen und werden um 17.30 mit dem Zug wieder in ihre einfachen Behausungen zurückkehren. Zwei Fahrten pro Tag also, nicht viel und dennoch eine enorme Erleichterung für die Menschen.