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Panorama Alaskas schmelzende Gletscher und der Sofa-Effekt

Die steigenden Temperaturen auf der Erde lassen die Gletscher schmelzen und die Meeresspiegel ansteigen. Das ist auch im Südosten von Alaska nicht anders. Doch das Land versinkt nicht im Meer, es taucht aus dem Wasser auf – ein ganz spezielles Klima-Phänomen.

Morgan Deboer steuert sein ratterndes Golfmobil über seinen Golfplatz am Rand von Gustavus. Das Dorf hat 443 Einwohner und ist nur per Schiff oder Flugzeug erreichbar. Er stoppt, steigt aus und sagt: «Schauen Sie, wie schön mein Golfplatz ist! Wenig Bäume; umgeben von wilden Gräsern, flach und direkt am Meer, fast wie an der Küste von Irland oder Schottland.» 9-Loch, 35 Par, Rasen sauber geschnitten.

Ein Golfplatz wie viele andere. Doch der Eindruck täuscht.

«Er tauchte aus dem Wasser auf», sagt Morgan Deboer. «Das ganze Land hier, fast ein Quadratkilometer, ist neu. Von der Driving Range, dem Übungsplatz zum Abschlagen, bis rüber zum Haus, das meinen Eltern gehörte – all das stand vor 50 Jahren unter Wasser, wenn wir Flut hatten», erzählt der Golfplatzbesitzer, der im Hauptberuf Holzhändler ist. «Eine ziemliche Veränderung.»

Video
Wenn die Gletscher schmelzen
Aus News-Clip vom 17.11.2015.
abspielen. Laufzeit 23 Sekunden.

Das Phänomen

Dass sich das Land aus dem Wasser erhebt, wenn auch langsam, hat mit dem Klimawandel zu tun. Und das Phänomen hat auch einen Namen: postglaziale Landerhebung. Professor Eran Hood ist ein renommierter Gletscherforscher an der Universität von Alaska in Juneau. Er erklärt den Vorgang mit Hilfe – eines Sofas.

«Was wir hier beobachten, ist vergleichbar mit dem, was passiert, wenn wir auf ein Sofa sitzen und danach wieder aufstehen. Das Sofakissen wird zuerst eingedrückt und danach, wenn wir aufstehen, kehrt es in die ursprüngliche Form zurück. Das Land hier war überdeckt mit zahlreichen schweren Gletschern, die das Land in die Tiefe gedrückt haben. Nun, da die Gletscher wegschmelzen, ist auch ihr Druck auf die Landfläche leichter – es erhebt sich, steigt wieder an.»

Land hebt sich um bis zu drei Zentimeter pro Jahr

Dieses Phänomen ist besonders gut in Grönland und im Südosten Alaskas zu beobachten. «In Juneau sind es 1,2 Zentimeter pro Jahr, im Glacier Bay Nationalpark und in Gustavus, wo die meisten Gletscher schon weggeschmolzen sind, gar gegen 3 Zentimeter pro Jahr», erklärt Wissenschaftler Eran Hood.

Zwar steigt auch in Alaska der Meeresspiegel kontinuierlich an, aber deutlich weniger schnell als das Land. Deshalb der Landgewinn.

Eis schmilzt seit 1750

Das Dorf Gustavus ist Ausgangspunkt für Exkursionen in den grossen Glacier Bay Nationalpark. Das Schiff tuckert durch die mächtige Bucht, mehr als 100 Kilometer ist sie lang, umgeben von Bergen und Fjorden. Hier hat es 50 Gletscher, sieben davon sind sogenannte «Tide-Water-Glaciers», deren blau schimmerndes Eis bis hinunter ans Meer reicht.

«Hier war mal überall Eis», erklärt Parkwächter Daniel Zobrist – oder Ranger Dan, wie er sich nennt. Er tuckert mit einem Schiff mitten im Nationalpark schaut raus aufs milchige Wasser.

«1750 war der ganze Park bedeckt mit Eis. Zum Teil anderthalb Kilometer tief, 30 Kilometer breit und 150 Kilometer lang bis hinauf nach Kanada.»

Das war während der «kleinen Eiszeit». Seither schmilzt das Eis, also nicht erst seit kurzem. Und schon vorher gab es immer wieder Phasen, in denen die Gletscher Alaskas wuchsen, und andere, in denen sie zurückgingen. Allerdings: die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten lasse sich nicht durch natürliche Zyklen erklären, sagen Forscher.

Ihre Begründung: In den letzten 50 Jahren stieg die jährliche Durchschnittstemperatur in Alaska doppelt so stark wie in den übrigen USA. Die Winter in Südostasien sind heute im Schnitt 3 Grad Celsius wärmer. Das bedeutet: mehr Regen, weniger Schnee, weniger neue Nahrung für die Gletscher – die Eisdecke wird dünner und kürzer – und eben: leichter.

Plötzlich trockene Keller

Audio
Alsaka: Schrumpfende Gletscher - steigendes Land
aus Echo der Zeit vom 26.11.2015. Bild: SRF
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 28 Sekunden.

Dass die Erdoberfläche ansteigt, hat auch Ranger Dan bemerkt – bei sich zuhause. «Im Herbst, wenn die grossen Regenfälle kommen, bleibt mein Keller neuerdings trocken. Das war nicht immer so, als ich vor rund 12 Jahren hierher zog. Doch jetzt liegt mein Haus rund 30 Zentimeter höher.»

Ein trockeneres Hausfundament, ein Golfplatz auf einem Landstück, das früher im Meer lag – die postglaziale Landerhebung scheint vor allem angenehme Effekte zu haben.

Die Entwicklung bringt aber auch Nachteile. Besonders augenfällig wird das beim Gastinau-Kanal zwischen Alaskas Hauptstadt Juneau und dem vorgelagerten Douglas-Island. Früher war das Wasser des Kanals tief genug für grössere Schiffe.

Heute ist der Kanal sehr schmal. Ein Rinnsal, sagt Teddy, ein Einwohner von Juneau. Der viele Schlick vom nahen Mendenhall-Gletscher verstärkt das Phänomen noch. Dort wo früher Sumpfgebiete und Marschlandschaften waren, kann man jetzt locker in Turnschuhen herumspazieren.

Was die Zukunft bringen könnte

Später könnte hier Gras wachsen, vielleicht mal Wald. Flora und Fauna werden sich ändern. Der Grundwasser-Spiegel liegt nicht mehr auf dem gleichen Niveau – eine Herausforderung für die kommunale Wasserversorgung.

Dazu kommen Rechtsstreitigkeiten. Morgan Deboer, der Golfplatzbesitzer von Gustavus, kann ein Lied davon singen. Die Grenze seines Landstücks war immer die Flutlinie zum Meer. Doch was, wenn diese Flutlinie zurückweicht? «Wir mussten gegen Alaska und die Bundesregierung in Washington klagen. Nach 14 Jahren gewannen wir den Rechtstreit – das neue Land gehört jetzt uns», erzählt Morgan Deboer. Und fährt den Besucher mit dem ratternden Mobil quer über den Golfplatz zurück an den Ausgangspunkt.

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