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Beziehungsfalle Ferien Ferienzeit ist Trennungszeit

Schlechte Stimmung in den Ferien ist keine Seltenheit. Mit viel Zeit und Nähe entfachen angestaute Konflikte neu.

Die Koffer sind gepackt, die Flugtickets ausgedruckt und die Vorfreude auf die Auszeit ist gross. Doch: Statt der erhofften Romantik erleben viele Paare und Familien in den Ferien Streit. Während den Ferien gehen viele Beziehungen in die Brüche.

Dann sind Paarberater gefragt: Die öffentlichen Paarberatungsstellen des Kantons Zürich verzeichnen einen Anstieg von Anfragen direkt nach den Ferien. «Unsere Beratende sind nach den Sommerferien und nach den Weihnachtsferien besonders ausgelastet», sagt Stefan Brülhart, Geschäftsführer von Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich.

So trennt man sich fair

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Hilfreich ist es, zu verstehen, wie ein Trennungswunsch sich überhaupt entwickelt. Er entsteht nicht plötzlich. Das Paar durchlebt zuvor verschiedene Phasen: Zunächst sind Meinungsverschiedenheiten noch einfache Konflikte, die sich zu einer Paar-Krise aufbauen können.

Während für manche eine solche Krise nicht allzu schlimm erscheint, kippen andere in die sogenannte Ambivalenzphase. Darin ist man hin und hergerissen: Man möchte zwar mit dem Partner zusammenbleiben, aber anders. Findet man zu lange nicht heraus, wie dieses «anders» aussehen könnte, möchte man sich vom Partner trennen. Ist der Entschluss einmal gefasst, ist daran nicht mehr zu rütteln. Der Partner, der nichts geahnt hat, wird vor vollendete Tatsachen gestellt, fühlt sich kalt abserviert und unfair behandelt.

Fairer ist, bereits während der Ambivalenzphase das offene Gespräch zu suchen. Gemeinsam ist es einfacher, herauszufinden, was sich in der Beziehung verändern lässt.

Findet das Paar dennoch keine Lösung, macht auch eine faire Trennung den Schlussstrich nicht einfacher. Eine Trennung bleibt emotional schmerzhaft – für beide Beteiligte.

Zu viel Nähe

Weshalb es ausgerechnet in den Ferien des Öfteren kracht, weiss Paartherapeut Henri Guttmann: «Es gibt dann Streit, wenn die Erwartungen an die Ferien unterschiedlich sind oder wenn man Konflikte aus dem Alltag ungeklärt mitnimmt.»

Während es zuhause einfacher ist, den Problemen auszuweichen, sind im Urlaub Konfliktgespräche unumgänglich. «Denn man sitzt dauernd und näher aufeinander», sagt Henri Guttmann. «Konflikte, die man zuhause nicht gelöst hat, tauchen schneller wieder auf und man merkt rascher was einen stört.»

Spiegel der Beziehung

Der Umgang in den Ferien verrät bereits einiges über die Beziehung. Aus diesem Grund stellt Guttmann in seinen Paartherapien stets die Frage, wie sich das Paar in den Ferien verträgt.

Streitet es sich auf Reisen seltener als im Alltag, hat es laut Guttmann gute Prognosen. Schlecht steht es hingegen um diejenigen, die in den Ferien häufiger streiten als im Alltag: Sie weichen sich im Alltag aus, statt Konflikte aktiv anzugehen.

Richtig reagieren im Streit

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Wie lässt sich ein heftiger Streit deeskalieren?

Henri Guttmann: «Sobald ein Konflikt einen emotional überflutet, fehlt der klare Kopf für überlegte Antworten. Folglich wird es laut und der Streit endet häufig nicht konstruktiv. Für solche Situationen existiert ein Modell namens «gelbe Karte». Wer bemerkt, dass der Konflikt die Gefühle zu sehr aufwühlt, darf die Diskussion unterbrechen und vertagen – auf einen fix vereinbarten Zeitpunkt. Das Gegenüber muss akzeptieren, dass der andere in diesem Augenblick nicht mehr darüber sprechen möchte. Wenn beide sich beruhigt haben, lässt sich das Problem pragmatischer aus der Welt schaffen. Ein zweites deeskalierendes Modell ist die «streitfreie Zone». Gemeinsam bestimmt das Paar Orte, wie etwa das Schlafzimmer oder den Esstisch, an denen man nicht streitet.»

Gibt es sonst noch Regeln?

Henri Guttmann: «Die altbekannte Ich-Botschaft: Wer aus der eigenen Perspektive spricht, ist nicht vorwurfsvoll. Doch: Das Gegenüber muss die Ich-Perspektive des anderen respektieren.»

Wie lassen sich konstruktive Lösungen finden?

Henri Guttmann: «Indem man nach Lösungsvarianten sucht. Nicht nur eine, sondern eine ganze Auswahl. Damit kann man verhandeln. Schliesslich gilt es auch Kompromisse einzugehen und dem Partner zuliebe manchmal etwas Unliebsames zu machen - wie etwa ein Besuch bei Verwandten während den Ferien.»

Und wenn der Partner auf seinem Standpunkt beharrt?

Henri Guttmann: «Viele Konflikte sind eigentlich Werte-Konflikte: Der Autoliebhaber fährt etwa gerne schnell, der Sportliche liebt es, sich zu bewegen, wieder andere möchten in den Ferien alle Kirchen anschauen. Auch wenn diese Dinge dem Partner nichts sagen, ist es wichtig zu erkennen, dass sie dem anderen viel bedeuten. Dann ist es einfacher, die Werte des anderen zu akzeptieren und damit umzugehen.»

Der verflixte dritte Tag

Ein bestimmter Streit lässt sich nicht umgehen: «Den obligatorischen Ferienstreit an Tag drei. Den haben alle», sagt Guttmann. «Auch diejenigen, die sonst kaum streiten.»

Schuld sei die veränderte Umgebung. Das Anpassen an die neue Situation führe unweigerlich zu einem Konflikt.

Vorbeugen statt streiten

Streitereien in den Ferien sind besonders ungünstig, man kann sich nur schlecht ausweichen. Daher empfiehlt Guttmann die latenten Konflikte aus dem Alltag bereits vor der Abreise zu klären. Guttmanns Patentrezept dafür lautet:

Der eine Partner erklärt, was ihn verletzt hat. Der andere entschuldigt sich dafür und möchte gleichzeitig wissen, wie man das wiedergutmachen kann.
Autor: Henri Guttmann Paartherapeut

Wiedergutzumachen seien Konflikte mit Gesten oder Aktivitäten, die beiden Freude bereiten und zusammenschweissen.

Auch Probleme, die die Ferien selbst betreffen, lassen sich bereits vorgängig aus dem Weg räumen. «Sie entstehen, weil jeder unterschiedliche und hohe Erwartungen an die Ferien mitbringt», sagt Guttmann. Möchte sie etwa am Strand ein Buch lesen, er aber in den Bergen wandern, führt das unweigerlich zu Unstimmigkeiten. Enttäuschungen lassen sich nur verhindern, wenn man bereits beim Planen der Reise die Erwartungen miteinander bespricht und nach Kompromissen sucht.

Stressfaktor Kind

Noch grössere Herausforderungen birgt der Urlaub mit Kindern. «Wenn alle sich erholen können, ist das wirklich ein Glücksfall», sagt Henri Guttmann. Je mehr Personen mit dabei sind, desto mehr Bedürfnisse gibt es. Eine andere Umgebung, andere Geräusche oder fremde Geschmäcker, sind für Kinder schwierig. Deshalb gilt: Wenn die Kinder glücklich sind, können sich auch die Erwachsenen entspannen.

Damit die Beziehung der Eltern nicht untergeht, empfiehlt Guttmann allen Paaren einmal im Jahr für ein paar Tage ohne Kinder zu verreisen. «Ich bekomme immer wieder Postkarten von Leuten, die ich nicht kenne», sagt Guttmann, «Sie freuen sich, das erste Mal ohne Kinder in den Ferien zu sein und bedanken sich für den wertvollen Tipp.»

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