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Das Erbe der 68er «Die Rechten mussten den Linken etwas entgegensetzen»

Sind die 68er Schuld an der heutigen Misere, wie das die Rechten behaupten? Klar scheint: Die jungen Linken waren damals eine Art Vorbild für die jungen Rechten, sagt der linke Soziologe Thomas Wagner.

SRF News: Welche Reaktion haben die aufbegehrenden jungen Linken 1968 bei den damaligen Rechten ausgelöst?

Thomas Wagner: Die Rechten fühlten sich zunächst minderbemittelt, was die eigenen intellektuellen Mittel betraf. Im rechten Lager bestand ein erhebliches Theorie-Defizit. Als die jungen Linken damit begannen, ihre Suhrkamp-Bändchen unter dem Arm zu tragen und die Raubkopien von linken und marxistischen Klassikern zu lesen und zu verbreiten, mussten dem die jungen Rechten in Deutschland etwas entgegensetzen.

Der Aktionismus der jungen Linken hat die jungen Rechten enorm beeinflusst.

Sie mussten ihre eigenen ideologischen Fundamente überdenken und erweitern. Das zweite war der Generationenbruch. Wie die Linken wollten sich auch die Rechten gegen das Establishment auflehnen und sich vom verstaubten Konservatismus und der Bürgerlichkeit lösen. Gleichzeitig wollte man sich auf der rechten Seite aber auch vom Nazi-Faschismus abgrenzen. Ein dritter Faktor war der Aktionismus der jungen Linken, der die jungen Rechten enorm beeinflusst hat.

Die Rechten liessen sich also von den 68ern inspirieren?

Ja. Und in der Folge schauten sich manche junge Rechte auch die Lehrsätze der Linken an. Dabei gab es eine rote Linie: Während die Rechten schon damals für die Wiedervereinigung einstanden und die Teilung Deutschlands überwinden wollten, war das für die Linken kein Thema.

Schwarzweiss-Bild: ein Demonstrant mit einem Mao-Plakat vor einer Reihe behelmter Polizisten.
Legende: Die Studentenproteste von 1968 (hier in Berlin): Die jungen Rechten fühlten sich herausgefordert. Imago

Beide – linke wie rechte Junge – hatten offensichtlich viele Gemeinsamkeiten und bekämpften das Establishment. Wo waren die Unterschiede zwischen den beiden Lagern?

Einer bestand darin, dass das Gegen-das-Establishment-Sein eine Doppelbödigkeit hatte: Auch die Faschisten waren gegen das Establishment. So waren denn auch junge französische Faschisten, die in den 60er-Jahren aus dem Rechtsterrorismus gegen Charles de Gaulle hervorgegangen waren, eine zweite Inspirationsquelle für die neuen jungen Rechten in Deutschland. Auch die jungen rechten Franzosen waren zum Ergebnis gekommen, dass sie nur mit Theorie-Arbeit gesellschaftlichen Einfluss erlangen können. Diese jungfaschistischen Leute schwärmten für Ideen eines europäischen Sozialismus, ohne aber gleich Nazis zu sein. Diese Doppelbödigkeit steckte von Anfang an in der Auflehnung der Jungen gegen das Establishment.

Das Buch zum Interview

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Das Buch des Soziologen Thomas Wagner heisst: «Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten.»

Nach den 68ern kamen die 89er: Die neue Rechte strebte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine konservative Wende an. Was war der Plan dieser Gruppierung?

Diese Bewegung machte sich nach Überwindung der Teilung Deutschlands breit. Auch sie dachte sich, man müsse von den Linken etwas lernen. So schaltete sie in den Angriffsmodus, anstatt sich bürgerlich-anständig zu verhalten.

Dobrindts Forderung einer ‹konservativen Revolution› ist ein Etikettenschwindel.

CSU-Politiker Alexander Dobrindt schrieb kürzlich von einer «konservativen Revolution», die es anzustreben gelte. Erinnert er nicht an die 89er-Bewegung mit ihrer Forderung nach einer konservativen Wende?

Ja. Von Seiten von CDU/CSU wird seit längerem davon gesprochen, eine Art Werte-Wende herbeiführen zu wollen. Dobrindt hat in seiner Äusserung jetzt von einer «Revolution» gesprochen. Der Begriff steht in Zusammenhang mit sehr staatsorientierten, antiliberalen Kräften in der Weimarer Republik. Dobrindt aber verbindet diese Rhetorik eher mit liberal-konservativen Motiven. Eigentlich ist seine Äusserung also ein Etikettenschwindel. Bei Dobrindts Forderung handelt es sich eigentlich gar nicht um eine konservative Revolution im Sinne des Wortes, sondern er betont einmal mehr die liberal-konservative Besonderheit, die in der CSU gemäss seinen Worten angeblich besonders vertreten wird.

Dobrindt spricht in hingehaltene Mikrofone.
Legende: CSU-Politiker Dobrindt fordert eine «konservative Revolution». Autor Wagner nennt dies einen Etikettenschwindel. Reuters

Heute würden wir wieder vor einer Kulturrevolution stehen, schreiben Sie. Und wieder gehe es gegen das Establishment. Welche Auswirkungen wird das haben?

Das wird sich zeigen. Zwar wiederholt sich die Geschichte nicht, aber Parallelen gibt es schon. So greifen die identitären Bewegungen, also die heutigen jungen Rechten, erneut auf 68er-Aktionsformen zurück, um das Establishment und die Institutionen zu verunsichern. Und das klappt auch, wie man in Deutschland sieht. Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag gelangen nun aber mindestens zwei gegensätzliche Strömungen innerhalb der Rechten ins Parlament.

Der äusserste rechte Flügel der AfD könnte mit seiner Rhetorik im Osten der SPD und der Linkspartei durchaus das Wasser abgreifen.

Zum einen ist das eine neoliberale Strömung. Zum anderen ist das eine vor allem in den neuen Bundesländern, also im Gebiet der ehemaligen DDR, ansässige Strömung, die stärker sozialistische Umverteilungsideen in die Rechte einbringen will. Diese beiden Strömungen streiten innerhalb der AfD um die Vorherrschaft. Der soziale Flügel der AfD ist dabei deckungsgleich mit dem äussersten rechten Flügel der Partei. Dieser benutzt eine Rhetorik, die durchaus in der Lage sein könnte, der SPD und der Linkspartei im Osten Deutschlands das Wasser abzugreifen.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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