SRF: In der Schweiz werden tonnenweise Lebensmittel fortgeworfen, weil sie laut Etikette «abgelaufen» sind. Sind die Konsumenten übervorsichtig oder haben sie gar nicht so Unrecht?
Martin Loessner: Beides. Manche Lebensmittel können tatsächlich Krankheiten auslösen. Davor haben viele Angst und gehen auf Nummer sicher, denn sie können oder wollen im Zweifelsfall nicht selber entscheiden, ob etwas noch geniessbar ist oder nicht.
Martin Loessner
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Martin Loessner ist Professor für Lebensmittelmikrobiologie am Institut für Lebensmittel- wissenschaften, Ernährung und Gesundheit der ETH Zürich. Forschungsschwer-punkte sind mikrobielle Krankheitserreger in Lebensmitteln. Grundlagen-forschung dient der Entwicklung neuer, innovativer Methoden zum Nachweis und der Kontrolle solcher Erreger.
Andere ignorieren die Herstellerhinweise komplett und fällen Entscheidungen, die oftmals auf gesundem Halbwissen basieren. Da steckt manchmal auch eine gewisse Protesthaltung dahinter. Oder eine grosse Lust am Experimentieren, wenn zum Beispiel entsorgte Lebensmittel aus Containern herausgefischt werden. Das kann ohne Fachwissen durchaus riskant sein.
Normalerweise verlassen wir uns bei der Beurteilung von Lebensmitteln auf unsere Sinne. Wenn etwas nicht gut aussieht, schlecht riecht oder sich seltsam anfasst, lassen wir die Finger davon. Wie weit dürfen wir unseren Sinnen trauen?
Eigentlich voll und ganz. Unsere Sinne haben sich im Laufe der Evolution entwickelt und bewahren uns relativ zuverlässig vor dem Konsum offensichtlich verdorbener Ware.
Bei welchen Lebensmitteln funktioniert das nicht?
Das hat natürlich seine Grenzen, vor allem bei solchen Speisen, die einem nicht vertraut sind, zum Beispiel aus fremden Kulturkreisen.
Wirklich knifflig ist aber nicht die Frage, wie weit etwas, das schlecht aussieht, noch essbar ist. Problematisch sind vielmehr Nahrungsmittel, die tadellos daherkommen und uns trotzdem schaden können.
Die Gefährlichkeit ist einem Lebensmittel also nicht immer anzusehen?
Genau. Die Mikroorganismen, die Lebensmittel verderben, sind nicht dieselben, wie jene, die uns krankmachen. Das sind zwei Paar Schuhe. Und die Krankmacher können wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen. Pouletfleisch kann beispielsweise trotz Befall mit Salmonellen oder Campylobacter frisch und völlig unverdächtig daherkommen.
Das angegebene Verbrauchsdatum sollte man wirklich ernst nehmen.
Das heisst für den Alltag?
Man sollte sich an einige einfache Grundregeln halten:
- Das angegebene
Verbrauchsdatum
ernst nehmen. Vor allem bei tierischen Frischprodukten mit viel Eiweiss, also Fleisch oder Fisch.
- Fermentierte Lebensmittel
wie Jogurt oder Sauerkraut sind sehr lange haltbar, weit über das angegebene Mindeshaltbarkeitsdatum hinaus.
- Trockene Lebensmittel
sind sicher für den Genuss, ausser es hat Schimmel darauf. Dann gehören sie entsorgt.
- Bei
pflanzlichen Lebensmitteln
kann man sich recht gut auf seine Sinne verlassen. Was verdorben aussieht oder riecht, ist auch meist nicht mehr gut.
Beutelsalat und geschnittener Rauchlachs kommen mir nicht mehr auf den Tisch.
Wichtig ist auch, niemals gekochte wieder mit frischen Lebensmitteln zusammenbringen, wenn diese gefährliche Bakterien enthalten können. Solche «Kreuzkontaminationen» gilt es unbedingt zu vermeiden, beispielsweise auf dem Schneidebrett oder dem Teller beim Fleischfondue.
Welche Konsequenzen hat das für Ihre eigene Ernährung?
Ich lasse zum einen die Finger von Schnittsalat in Beuteln. Das ist eigentlich «pflanzliches Hackfleisch» und ein gefundenes Fressen für Bakterien – da empfehle ich wirklich den Griff zum Salatkopf!
Zum anderen kommt mir kein geschnittener Rauchlachs mehr auf den Tisch. Auch bietet selbst Kühllagerung keinen genügenden Schutz gegen bestimmte dort vorkommende Krankheitserreger, wie die Listerien. Wenn der Rauchlachs gar schon abgelaufen sein sollte, dann besser vorgängig erhitzen und zum Beispiel mit einer heissen Pasta servieren.
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