In Schweizer Städten ist ein verstärkter Zustrom in die Kirchen zu beobachten. Thomas Franck, Verwaltungsdirektor der kantonalkirchlichen Körperschaft St. Gallen, berichtet etwa, «dass in der Stadt wieder mehr Leute die Kirche besuchen».
Den gesteigerten Andrang kann Franck gar belegen. Er zeige sich nämlich an der «Zahl der Kerzen», die täglich in der Kirche angezündet werden.
Aber nicht nur die traditionellen Gottesdienste seien «wieder stärker frequentiert». Auch zu Randstunden des Arbeitstages erscheinen die Menschen. «Im frühen Gottesdienst um halb sieben trifft man viele Berufstätige an, die nach dem Besuch ins Büro gehen», sagt Franck. Andere erscheinen zu «Zwischenzeiten».
Die Leute suchen Ruhe, einen Break.
Eine Tendenz in beiden Landeskirchen
Der Kirchgang am Werktag ist keine katholische Eigenheit. Denn dieselbe Tendenz zeigt sich auch in der reformierten Kirche der Gallusstadt.
Hansruedi Felix, Pfarrer in der St. Laurenzenkirche, bestätigt: Man gehe weniger in die Kirche, um eine Predigt zu hören, «sondern dann, wenn man Zeit hat.» Die Menschen, die «zehn Minuten auf der Bank sitzen» oder eine «Kerze anzünden», sind laut Felix ganz verschieden:
Es sind Mütter mit Kinderwagen oder Geschäftsmänner mit Krawatte.
Die Werktags-Kirche ist auch in der Bundesstadt gefragt – und zwar unter Reformierten wie Katholiken. Hans Martin Schaer, Kommunikationsbeauftragter der reformierten Kirchen Bern/Jura/Solothurn, weist auf ein Resultat in einer noch unveröffentlichten Studie hin. Demzufolge hat in der Region die Anzahl der Gottesdienstbesucher im Zehnjahresvergleich zugenommen.
Angebote nicht mehr auf Sonntag beschränkt
Mit beeinflusst hätten das Ergebnis die gottesdienstlichen Angebote, die sich nicht mehr nur auf den Sonntag beschränkten. Die grundsätzlich offenen Kirchen würden etwa mit «Angeboten über Mittag» aufwarten und generell mit «neuen Formen neuen Bedürfnissen» Rechnung tragen.
Vergleichbares ist in Bern von den Katholiken zu vernehmen. Barbara Kückelmann, Dekanatsbeauftragte der katholischen Kirche im Kanton, beobachtet, «dass der Gottesdienst am Werktag stabil bleibt, der Tendenz nach aber steigt.» Auch auf katholischer Seite sind die Besucher durchmischt: «darunter jüngere Berufstätige, jüngere Seniorinnen und Migrantinnen und Migranten.»
Gefragte Zürcher Bahnhofskirche
Am prägnantesten zeigt sich die Kirche als Werktags-Kirche aber wohl in der Zwinglistadt – und hier vornehmlich in der Bahnhofskirche.
Laut Karin Müller, Mediensprecherin des reformierten Stadtverbandes Zürich, «kommen hier die Leute direkt von der S-Bahn zu einer Andacht, die noch vor acht beginnt und nur rund 15 Minuten dauert.»
Der Beweggrund? «Die Menschen suchen Ruhe, um zu sich zu kommen», sagt Müller. Oder sie bräuchten einen Start in den Tag.
Die einen fangen den Tag mit Yoga an, die anderen gehen in die Kurzandacht.
Eine vergleichbare Energie suchten die Menschen übrigens auch in einem zur Besinnung gedachten Raum im Einkaufszentrum Sihlcity. «Das ist doch bemerkenswert», sagt Müller, «dass man sich zur Andacht einfindet, wo man sonst am Shoppen ist.»
«Explodierende Zahlen» im Grossmünster
Christoph Sigrist, Pfarrer am Zürcher Grossmünster, spricht angesichts der neuen Andachtsformen von einer «Nutzungsverschiebung», die im Rahmen einer geplanten Studie als gesamteuropäischer Trend erhärtet werden soll.
Ansporn sind ihm hierbei «explodierenden Zahlen, die sich über eine Zählung mit Lichtschranken belegen lassen.» Für die Kirche in Zürich habe man einen satten Mehrzulauf von 50'000 Kirchgängern jährlich registriert.