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Eine Frau vergräbt den Kopf zwischen den Armen.
Legende: Panikattacken sind extrem belastende Erlebnisse. Colourbox

Plötzliche Panikattacken Die Angst vor der Angst

Viele überfällt die erste Panikattacke aus heiterem Himmel. Dann entsteht ein Teufelskreis aus Panikanfällen und der Angst davor.

  • Mindestens jeder zehnte Schweizer hat bereits eine Panikattacke erlebt.
  • Auch wenn es schwer fällt: Angstauslösende Situationen zu vermeiden ist die schlechteste Reaktion.
  • Die Prognosen stehen gut: Mit therapeutischer Begleitung sind Panikattacken und Ängste gut in den Griff zu bekommen.

Angela G. steigt nicht mehr ins Flugzeug. Nach einer ersten Panikattacke an Bord und einem anschliessenden zweiten Flug, den sie nur mit starken Beruhigungsmitteln bewältigte, sind weitere Reisen für die reisebegeisterte 41-Jährige tabu – und mit ihr für ihre Familie. Es blieb nicht bei der Angst vor dem Fliegen: In Menschenmassen bekam Angela G. zunehmend Panik, in stressigen Phasen, beispielsweise bei beruflicher Überlastung, schnürte sich ihr die Kehle zu. Einmal war ihre Angst zu Ersticken so gross, dass sie den Notarzt rief.

Belastende Erwartungen

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Angela G. ist ein typischer Fall, wie die Psychologin Katharina Gaudlitz ihn auch immer wieder im Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ) sieht. Menschen, die mitten im Leben stehen und sich oft als alles andere als ängstlich bezeichnen würden, werden plötzlich von Ängsten und Panikattacken überfallen, die sie sich selbst nicht erklären können. Gut jeder Zehnte in der Schweiz hat das selbst schon erlebt.

Bei manchen von ihnen haben sich die Ängste langsam eingeschlichen und aufgebaut. Anderen ergeht es wie Angela G. und es erwischt sie urplötzlich. Sie beginnen zu zittern und zu schwitzen, ihr Herz rast oder schmerzt, ihnen ist übel oder schwindelig. Die Symptome steigern wiederum die Gedanken, gerade einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden und zu sterben oder verrückt zu werden und die Kontrolle zu verlieren. Diese Erlebnisse können sehr einschneidend sein und sich bei den Betroffenen tief ins Gedächtnis eingraben. Nach ersten Panikattacken entsteht oft die sogenannte Erwartungsangst, die Angst, dass eine solche Attacke wieder auftreten könnte.

Der Kreis der Angst wird immer grösser.
Autor: Katharina Gaudlitz Psychologin

«Es sind Lerneffekte, die die Störung aufrecht halten und erweitern», sagt Katharina Gaudlitz. Die Angst vor dem Autofahren kann sich auf das Fliegen ausweiten oder macht in Folge dann das Tram-, Bus- oder Zugfahren unmöglich, der Arbeitsweg wird zur unüberwindbaren Hürde. «Der Kreis der Angst wird dann immer grösser», warnt die Psychologin. Die Angst vor der Angst schränkt das Leben der Betroffenen zunehmend ein.

Vermeiden verschlimmert das Problem

Ein Vermeidungsverhalten ist typisch für Angststörungen. Ab wann ein ungutes Gefühl krankhaft wird und in Behandlung gehört, wird durch den Leidensdruck der Person bestimmt. «Der Übergang ist fliessend. Jeder kennt ja Situationen, in denen man sich unwohl fühlt und vor denen man sich gerne drückt», sagt Katharina Gaudlitz. «Viele halten im Studium beispielsweise sehr ungern Vorträge, beissen sich aber trotzdem durch. Kritisch wird es, wenn man irgendwann alle Vorträge zu umgehen beginnt und so das Studium gefährdet sein kann.» Lässt man die Vermeidungsstrategie zu, kann sich das Problem ausweiten.

Deshalb setzt die Behandlung genau hier an. Die kognitive Verhaltenstherapie gilt als Goldstandard. Betroffene lernen zuerst, wie Ängste entstehen und aufrecht erhalten werden – die sogenannte Psychoedukation. Dann folgt der zentrale Bestandteil: die Konfrontationsübungen, in der Betroffene sich wiederholt in Situationen begeben, die Angst in ihnen auslösen. So machen sie korrigierende Lernerfahrungen: Sie werden beispielsweise im Tram nicht ohnmächtig, oder sie halten die 20 Minuten Vortrag tatsächlich durch. Und selbst eine Panikattacke ist ohne Vermeidungsverhalten nach 30 Minuten überstanden. Manche Patienten erhalten zusätzlich Psychopharmaka – bestimmte Antidepressiva (SSRI), in Akutsituationen mitunter auch Benzodiazepine, also Angstlöser.

Die Störung verstehen lernen

Je früher die Therapie beginnt, desto besser. «Angststörungen können Sie tatsächlich ganz ablegen. Die Chancen dafür stehen gut», sagt Katharina Gaudlitz. «Zwar wird es wahrscheinlich in stressigen Phasen eher wieder die Tendenz zu Panikattacken oder bestimmten Vermeidungsmustern geben. Aber man sollte in der Therapie Techniken erlernt haben, um zu verhindern, dass sich jene wieder einschleichen.» Dazu gehören neben den Konfrontationsübungen auch Methoden zum Stressabbau, denn Panikattacken treten vor allem in oder kurz nach stressigen oder belastenden Phasen auf.

Angela G. weiss mittlerweile, dass ihre Symptome nicht auf eine schwere Krankheit, sondern auf ihre Panik zurückgehen. Das hilft so gut, dass sie sich sogar überwindet, Grossanlässe zu besuchen – auch ihren Söhnen zuliebe. Ein Flugzeug hat sie bis heute nicht betreten. Ganz abwegig ist aber auch dieser Gedanke nicht mehr: Immer öfter ertappt sie sich dabei, wie sie wieder Angebote für Fernreisen studiert.

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