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Ein gelähmter Junge liegt auf einer Art hartem Bett, daneben eine sorgenvoll blickende ältere Frau, die ihn streichelt
Legende: Gelähmt, stumm und völlig unbeweglich: Agent-Orange-Opfer Tran Duc Nghia mit seiner Tante, ein Bild aus dem Buch. Roland Schmid
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Aargau Solothurn Ein Solothurner Statement gegen den Krieg

SRF-Journalist und Buchautor Peter Jaeggi hat ein aufwändig recherchiertes Buch publiziert: Es geht um den Vietnam-Krieg. Dieser ist zwar seit über 40 Jahren vorbei, unter den Folgen des Krieges leiden aber heute noch Tausende von Menschen. Vor allem, weil die US-Armee giftiges Dioxin versprühte.

Peter Jaeggi lebt in Niederwil, am Fusse des Balmbergs. Bekannt wurde der SRF-Journalist unter anderem auch, weil er eine CD mit dem Geräusch der alten Sesselibahn auf den Weissenstein veröffentlichte. Doch Peter Jaeggi blickt gerne weit über die Region hinaus: Seit Jahren beschäftigt er sich mit den Spätfolgen verschiedener Katastrophen - von Tschernobyl bis zum Vietnam-Krieg.

Insgesamt drei Mal ist Peter Jaeggi für mehrere Wochen nach Vietnam gereist, begleitet vom Basler Fotografen Roland Schmid. «Es gibt kaum eine Weltkatastrophe, die so schlimme Folgen hat bis heute», sagt Jaeggi. Auf seinen Reisen hat er unzählige Menschen getroffen, die den Krieg selber gar nicht erlebt haben - aber trotzdem schwer gezeichnet sind davon.

Ein Gift über Generationen

Flugzeuge versprühen weissen Nebel über einem Urwald-Gebiet (Schwarzweiss-Aufnahme)
Legende: Flugzeuge der US-Luftwaffe versprühen Entlaubungsmittel über einem mutmasslichen Vietcong-Versteck (1965). Keystone

Es sind die Opfer von «Agent Orange». Dieses Entlaubungsmittel haben amerikanische Soldaten aus Flugzeugen, Booten und Lastwagen während des Krieges versprüht - insgesamt wohl über 70 Millionen Liter. «Die Idee war, dass man den vietnamesischen Kämpfern die Deckung nehmen konnte, wenn die dichten Wälder ihre Blätter verlieren», erklärt Peter Jaeggi.

Doch «Agent Orange» enthält hochgiftiges Dioxin. Menschen, die damit in Kontakt kommen, verändern ihr Erbgut. Wenn sie selber nicht krank wurden, so wurden es ihre Kinder. Und auch deren Kinder wieder. Peter Jaeggi schildert in seinem Buch «Krieg ohne Ende» eindrückliche Begegnungen mit Müttern, die völlig gelähmte, stumme, bewegungsunfähige Kinder in armseligen Hütten pflegen müssen. Familien, die für die Therapien dieser Folgekrankheiten des Krieges ihr ganzes Vermögen aufgebraucht haben. Ältere Mütter, die nicht wissen, wer sich nach ihrem Tod um die schwerstbehinderten Kinder kümmert.

Vietnam ist ein armes Land: Professionelle Einrichtungen für die Betreuung der Kriegsopfer gibt es kaum. Auch die Beseitigung von Blindgängern ist vor allem Sache von Nichtregierungsorganisationen: Tausende von Streubomben und Minen liegen noch im Land verstreut. Immer wieder werden Menschen dadurch verletzt oder getötet.

Der Vietnamkrieg

1954 vertreiben die Vietnamesen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Anschliessend beginnt ein Bürgerkrieg in Südvietnam. Die National Liberation Front (ihre Kämpfer werden häufig «Vietcong» genannt) möchte die Wiedervereinigung mit dem kommunistischen Nordvietnam erreichen.

Die USA unterstützen die südvietnamesische Regierung militärisch, treten aber erst ab 1965 offiziell in den Krieg ein. Bereits 1963 wird zum ersten Mal Agent Orange versprüht. Erst 1973 wird ein Waffenstillstand unterzeichnet, bis 1975 erobert Nordvietnam den Süden komplett und beendet den Krieg. Vietnam ist bis heute ein kommunistisches Land.

Schätzungsweise drei Millionen Opfer fordern die Kämpfe auf vietnamesischer Seite, über 50'000 amerikanische Soldaten und Verbündete fallen. Als Begründung für den Kriegseintritt der USA dient unter anderem die «Domino-Theorie», wonach der Kommunismus auf ein Land nach dem anderen überspringen werde, wenn man ihn nicht bereits in Vietnam zurückdränge. Die eigentliche Kriegserklärung beruht allerdings auf einer Lüge («Vergeltung» für einen vermeintlichen Angriff Nordvietnams auf ein US-Kriegsschiff im Golf von Tonkin), wie inzwischen von mehreren Quellen offiziell bestätigt ist.

Viele Fakten und Facetten des Krieges

Das Buch von Peter Jaeggi ist eine Mischung aus beklemmenden, persönlichen Begegnungen mit vietnamesischen Kriegsopfern oder amerikanischen Kriegsveteranen und fundierten Recherchen zu Verantwortlichkeiten von Militärs, Politik und Wissenschaft. Bis heute hat die USA kein Wort der Entschuldigung an das vietnamesische Volk gerichtet, kein amerikanisches Gericht hat Schadenersatzforderungen der Opfer akzeptiert.

Die Geschichte lehrt uns, dass sich Krieg niemals lohnt.
Autor: Peter JaeggiJournalist und Autor
Buchtitel
Legende: Bedrückende Bilder und Recherchen: Das neue Buch von Peter Jaeggi, erschienen im Lenos-Verlag Basel (2016). zvg

Damit wird «Krieg ohne Ende» auch zu einer Mahnschrift gegen den Krieg. «Geschichte ist auch immer Hoffnung. Denn die Geschichte lehrt uns, dass sich Krieg niemals lohnt. Es lohnt sich nicht, der Preis ist zu hoch. Es ist ein Leiden ohne Ende, und es ist wichtig, dass man das nicht vergisst», sagt Peter Jaeggi.

Die Recherchen des Solothurner Autors zeigen aber auch, dass eine klare Unterscheidung zwischen «gut» und «böse» kaum möglich ist. Peter Jaeggi schildert Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. Er portraitiert ehemalige amerikanische Soldaten, die sich heute humanitär engagieren im Vietnam. Und er erklärt auch, dass das vietnamesische Volk gegenüber den USA kaum Hass empfindet.

Die USA sind inzwischen zu einem wichtigen Handelspartner geworden für das Schwellenland. Die jungen Menschen wollen in die Zukunft schauen, nicht zurück.

Was der brutale Krieg vor vier Jahrzehnten nicht vermochte, das wird jetzt durch die Globalisierung schleichend erledigt: Das kommunistische Land Vietnam öffnet sich immer mehr gegenüber westlichen Einflüssen. Es bleibt zu hoffen, dass der «Westen» - und damit insbesondere die USA - auch ihre historische Verantwortung in diesem Land künftig wahrnehmen.

(Regionaljournal Aargau Solothurn, 12:03 Uhr, velm)

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