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Arzt-Skandal – Hausarztpraxen kollabieren wegen dubiosem Arzt
Aus Impact Investigativ vom 02.05.2023.
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Arzt-Skandal Hausarztpraxen kollabieren wegen dubiosem Arzt

Chaos in Praxen, fehlende Betriebsbewilligungen, miese Zahlungsmoral gegenüber Angestellten und Steuerämtern: SRF Investigativ deckt einen Arzt-Skandal auf.

«Hunderte Patienten holten ihre Akten aus meiner ehemaligen Praxis», erzählt Hausarzt Bernhard Wälti aus Freidorf TG. Vor über zwei Jahren hat der pensionierte Hausarzt seine florierende Praxis verkauft. «Ein grosser Fehler», sagt er heute.

Der Verkauf meiner Praxis an Thomas Haehner war ein grosser Fehler.
Autor: Bernhard Wälti, Freidorf TG Pensionierter Hausarzt

Seit der Übernahme durch den Arzt und Geschäftsmann Thomas Haehner sei es mit der Praxis bachab gegangen. Jetzt ist sie zu. Laut der Thurgauer Gesundheitsbehörde bleibt das so, bis die Praxis angeordnete Massnahmen erfülle.

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Bernhard Wälti, pensionierter Hausarzt
Aus Impact Investigativ vom 02.05.2023.
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Die Recherche von SRF Investigativ zeigt: Freidorf ist kein Einzelfall. Thomas Haehner scheint ein System aufgebaut zu haben, das Praxen in Chaos und finanzielle Probleme stürzt. Zum Leidwesen vieler Angestellter und Patienten. 

«Ich komme nicht an meine Krankenakte»

In Neuenkirch LU steht eine junge Frau vor geschlossener Türe. Sie ist schwer krank. Seit Wochen versuche sie, im Ärztezentrum ihre Krankenakte abzuholen: «Ich brauche dringend meine MRI-Bilder für die Weiterbehandlung bei meinem neuen Arzt.» Auch diese Praxis gehört zur Arztkette, die von Thomas Haehner betrieben wird.

Seit fünf Jahren kauft er Praxen auf. Meist übernimmt sie der Deutsche von Hausärzten im Pensionsalter, oft in ländlichen Gegenden. Haehner betreibt im Moment 18 Praxen in acht Kantonen – und dies über mehrere Firmen.

Parallelen zum Fall «Mein Arzt»

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Die Kette «Mein Arzt» betrieb rund 30 Praxen in der Schweiz. Das Konzept des Inhabers Christian Neuschitzer beruhte darauf, dass Hausärzte, die keinen Nachfolger fanden, ihm die Praxis über eine GmbH verkauften. Im Juni 2020 berichtete «SRF Rundschau» über diverse Vorwürfe gegen Neuschitzer wie falsche Versprechungen, fehlende Bewilligungen, schlechte Zahlungsmoral. Ein Jahr später wurde der «Mein Arzt»-Chef vom Bezirksgericht Bülach wegen Corona-Kreditbetrugs verurteilt – zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten. Die Praxiskette des Österreichers ist inzwischen insolvent.

Über ein Dutzend Praxisassistentinnen und Ärzte, die bei Thomas Haehner angestellt sind oder waren, kritisieren gegenüber SRF Investigativ seine Methoden: «Wir wurden angewiesen, die Patienten als potenzielles Geschäft zu sehen», erzählt eine ehemalige Angestellte, die anonym bleiben will. Eine andere ehemalige Angestellte erzählt: «Die Patienten verliessen die Praxis mit sackweise Medikamenten.» 

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Legende: Vitamine und Zink zur Corona-Prävention Arzt Thomas Haehner wies sein Personal an, Patientinnen und Patienten anzurufen und ihnen Vitamin D3, Zink, Echinamed und Kaloba zur Stärkung der Abwehr anzupreisen. Kopie
Er sieht nicht kranke Menschen, sondern Geld.
Autor: Ehemalige Angestellte

In der Anfangszeit der Pandemie habe Thomas Haehner seine Angestellten mit einer «Telefonanleitung» angewiesen, Patienten anzurufen und ihnen zur Corona-Vorsorge Zink und Vitamine zu verkaufen. «Er sieht nicht kranke Menschen, sondern Geld», beschreibt eine ehemalige Angestellte das Geschäftsmodell des Arztes.  

Das sagt Thomas Haehner zur Vitamin-Abgabe

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«Es sind Empfehlungen zu Substanzen, von denen man aufgrund wissenschaftlicher Studien davon ausgeht, dass sie die antivirale Immunantwort des Organismus verbessern. Neben der Impfung war es eine Strategie in der Pandemie, auch an die Immunkompetenz des Menschen zu denken.»

Krankenkassen schreiten ein

Sogenanntes Überarzten ist verboten: Ein Arzt hat laut Krankenversicherungsgesetz «wirtschaftlich, wirksam und zweckmässig» zu handeln. Aufgrund der Recherche von SRF Investigativ analysierte die Krankenkasse Helsana die Abrechnungsweise der Praxen, die Thomas Haehner betreibt.

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Ivan Tomka, Leiter Datenforensik bei Helsana
Aus Impact Investigativ vom 02.05.2023.
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«Der Arzt gibt sehr viele Medikamente ab», sagt Ivan Tomka, der für Helsana Fälle von Überarztung aufdeckt. Die Krankenkasse leitet nun eine Untersuchung gegen Thomas Haehner und seine Praxen ein, da der Verdacht bestehe, dass unnötige Leistungen abgerechnet wurden. Zum Vorwurf der Überarztung schreibt Thomas Haehner: «Das sind äusserst bösartige Verleumdungen.»

Concordia verfügt Zahlungsstopp

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Aufgrund «schlimmer Rückmeldungen» ihrer Versicherten über chaotische Zustände überprüft auch die Krankenkasse Concordia sämtliche Haehner-Praxen. Die Kasse hat für drei Ärztezentren bereits einen «Zahlungsstopp» verfügt. Das heisst: Die Patienten und Patientinnen bekommen zwar die Arztrechnung erstattet, aber den Ärztezentren zahlt Concordia kein Geld mehr. Denn: «Uns fehlen von den Praxen Dokumente, um die Abrechnungen kontrollieren zu können», sagt Astrid Brändlin, Leiterin Unternehmenskommunikation.

Konkursandrohung wegen ausstehender Versicherungsprämien

Mehrere ehemalige Angestellte berichten auch von ausstehenden Lohnzahlungen. Der Auszug aus dem Betreibungsregister einer seiner Firmen war vergangenen Monat 12 Seiten lang: Thomas Haehner wird demnach immer wieder für AHV- und PK-Beiträge, Steuern oder Löhne betrieben. Er bezahlt laut Betroffenen oft erst auf den letzten Drücker.

Unter anderem ist Haehners Firma von der Visana wegen offener Krankentaggeldprämien über 76'000 Franken auf Konkurs betrieben worden. Die nicht bezahlten Prämien wirken sich auch auf die Angestellten aus: Erkrankte Mitarbeitende hätten kein Krankentaggeld erhalten, erzählen Betroffene.

Thomas Haehner schreibt: Dass Löhne zu spät bezahlt worden seien, treffe teilweise zu. Zum Chaos in manchen Praxen schreibt er: «Dies deckt sich mehrheitlich nicht mit der Realität.»

«Gefährdung von Patientinnen»

«Ein Arzt muss vertrauenswürdig sein und immer das Wohl der Patienten und Patientinnen in den Mittelpunkt stellen», sagt Sozialversicherungsexperte Ueli Kieser. Das sei hier nicht der Fall.

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Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungsrecht
Aus Impact Investigativ vom 02.05.2023.
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Nach Sichtung aller Unterlagen kommt der Rechtsprofessor der Universität Bern zum Schluss: «Hier liegt möglicherweise eine Gefährdung der Patienten und Patientinnen vor.» 

Was machen die Behörden?

Sechs Praxis-Standorte liegen im Kanton Zürich. Die Zeitung «Tages-Anzeiger» berichtete schon 2021 über Beschwerden von Patientinnen und Patienten. Damals schrieb das Amt für Gesundheit zu den Reklamationen: «Zurzeit sind wir in Abklärung. Weitere Auskünfte können wir nicht geben». Zwei Jahre begleitet das Amt Haehners Firmen bei der Umsetzung von «Verbesserungsmassnahmen».

So reagiert das Amt für Gesundheit Zürich

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«Seitens Amt für Gesundheit (AFG) haben mehrere Kontrollen vor Ort sowie Aufsichtsgespräche stattgefunden. Verbesserungsmassnahmen wurden seitens AFG auferlegt und seitens Medium Salutis / Viamedica eingeleitet sowie teilweise bereits umgesetzt. Das Amt für Gesundheit begleitet Medium Salutis / Viamedica bei der Umsetzung und wird die notwendigen Kontrollen durchführen.»

Von den Luzerner Gesundheitsbehörden liegt SRF Investigativ ein Schreiben vor, das klar macht: Den Luzerner Ärztezentren Napf und Triengen sowie der Surenweidpraxis in Oberkirch fehlten bis vor kurzem die Betriebsbewilligungen. Thomas Haehner habe diese nun nachgereicht, schreibt die Behörde.

Schreiben
Legende: Fehlende Betriebsbewilligung Schreiben des Gesundheits- und Sozialdepartements Luzern an Haehners Firma «Medium Salutis GmbH». Kopie

Die Luzerner Gesundheitsbehörde ist gemäss Recherchen seit Jahren über das Chaos in den Haehner-Praxen informiert. «Wir haben den Kantonsarzt mehrfach über die chaotischen Zustände informiert», sagt etwa der Hergiswiler Gemeinderat Pius Hodel: «Wir stellten danach keine Verbesserung fest.» Auf Anfrage schreibt das Luzerner Gesundheitsdepartement, es gehe Missständen nach: «Über allfällige konkrete aufsichtsrechtliche Verfahren erteilen wir grundsätzlich keine Auskunft.»

Auf Anfrage schreibt das Luzerner Gesundheitsdepartement, es gehe Missständen nach: «Über allfällige konkrete aufsichtsrechtliche Verfahren erteilen wir grundsätzlich keine Auskunft.»

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Interview mit Guido Graf, Gesundheitsdirektor Kanton Luzern
Aus Kassensturz vom 02.05.2023.
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Was sagt Thomas Haehner?

SRF Investigativ stand mehrmals mit Thomas Haehner in Kontakt. Er nahm teilweise schriftlich Stellung. Er sei selbst Opfer von schweren Straftaten geworden. Die Vorwürfe zeigten nicht das ganze Bild. Ausserdem, schreibt er, sei der unzufriedene Arzt aus dem Thurgau ein Einzelfall.

Thomas Haehners 18 Praxen

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SRF 4 News, 02.05.2023, 17:00 Uhr

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