Martha Sidler ist 88 Jahre alt – und sie hat heiss. Die sommerliche Hitze macht der Seniorin zu schaffen. «Früher konnte es mir nicht heiss genug sein. Aber nun im Alter merke ich es, die Hitze setzt mir zu.»
Ihre Beine seien schwer, sie fühle sich schlapp und einfach nicht wirklich wohl, sagt Frau Siedler. Sie begrüsse es darum sehr, dass neben ihrem Altersheim in Baden ein Pilotversuch für mehr kalte Luft in der Umgebung durchgeführt wird.
Kanäle sollen kalte Luft aus dem Wald nach aussen leiten
Vielleicht fällt der Seniorin und vielen anderen das Schlafen in der Sommerhitze bald leichter. Im Gebiet Kehl, wo das Alterszentrum und eine grosse Wohnsiedlung stehen, läuft aktuell ein Pilotversuch im Kampf gegen die Hitze. Einfach gesagt, soll kalte Luft aus dem nahen Wald gezielt zu den Wohnhäusern gelenkt werden – ein Novum in der Schweiz.
Das ist meines Wissens das erste Mal, dass man das ausprobiert.
In den letzten Monaten haben Förster im Wald neben dem Wohngebiet ganz gezielt Bäume so gefällt, dass Korridore entstehen. Diese führen vom Waldinnern nach aussen. Der Holzschlag sei sowieso geplant gewesen, erklärt Georg von Graefe, der Stadtoberförster von Baden. Man habe die Bäume einfach in Korridoren gefällt, dass die kalte Luft durchströmen kann: «Das ist meines Wissens das erste Mal, dass man das ausprobiert.»
Hitze-Inseln und Kaltluftströme im Gebiet Kehl
Möglich ist der Pilotversuch, weil das Gebiet Kehl an einem Hang steht. Der Wald ist leicht erhöht über Wohnsiedlung und Altersheim. Die kalte Luft, die sich in der Nacht im Wald sammelt, fliesse automatisch nach unten zu den Wohngebäuden, erklärt Georg von Graefe. «Dieser Effekt findet sowieso statt, wir wollen ihn nun kanalisieren.»
Es sei ein sehr praxisorientierter Versuch, sagt der Förster und sie seien selber sehr gespannt, ob es wirklich funktioniert. Es sei aber durchaus wissenschaftlich begleitet, ergänzt von Graefe. Im Sommer 2022 wurden entlang des Waldes über 20 Temperatursensoren installiert, die den Sommer über alle Entwicklungen aufgezeichnet haben.
Der Wald ist wie eine natürliche Klimaanlage.
Im letzten Winter wurden nun die Schneisen geschlagen und nun messen die gleichen Sensoren in diesem Sommer, ob wirklich kalte Luft aus dem Wald fliesst und ob sich das mit den Messungen nachweisen lässt.
Korridore für kalte Luft aus dem Wald
Gespannt auf diese Resultate ist man auch beim Bund, wo der Versuch mitverfolgt wird. «Der Wald ist ja wie eine natürliche Klimaanlage. Er produziert kühle und frische Luft und die fliesst über die angelegten Schneisen ins Siedlungsgebiet», sagt Roland Hohmann, Chef der Sektion Klimaberichterstattung beim Bundesamt für Umwelt.
Hier in Baden sei die Ausgangslage für diesen Versuch perfekt, da es viel Wald in Hanglage gibt. Ob sich die Kaltluftkorridore im Wald auch für den Einsatz an anderen Orten eignen, das könne man noch nicht sagen. Zuerst müsse man die Messungen abwarten.
Klar ist aber, dass Frau Sidler und andere Bewohnerinnen und Bewohner des Alterszentrums Kehl in Baden auf einen gelungenen Versuch hoffen. Ein bisschen kühle Luft, die während der Nacht ins Schlafzimmer strömt, würde viele Seniorinnen und Senioren hier freuen.