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Schweiz Raketen-Debakel – die internen Protokolle

Die Armee hat sich für zwei Flugabwehr-Raketensysteme entschieden, obwohl die Verantwortlichen wussten, dass die Waffen bei der internen Evaluation klar durchfielen. Das zeigen vertrauliche Protokolle, die der «Rundschau» vorliegen.

Gestern hat VBS-Chef Guy Parmelin die Reissleine bei der Beschaffung neuer Flugabwehr-Systeme gezogen. Top-Kader der Armee und der Armasuisse hatten sich für zwei Lenkwaffen entschieden, die gemäss interner Evaluation zwingende Kriterien wie Reichweite und Allwettertauglichkeit nicht erfüllen. Laut Evaluation drängte sich die Verschiebung des Milliardenprojekts auf. Offenbar wurden der politischen Führung des VBS dabei wichtige Informationen vorenthalten.

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Verantwortlich für das Projekt ist Luftwaffen-Chef Aldo Schellenberg als Vorsitzender der Projektaufsicht. Er rapportiert direkt an Armeechef André Blattmann. Der Armeechef war über den alarmierenden Stand des Projekts im Bild, informierte Verteidigungsminister Guy Parmelin aber offenbar nicht entsprechend.

Am Montag konfrontierte die Rundschau das VBS mit den Recherchen und Hinweisen zu den belastenden Dokumenten. Daraufhin mussten gestern Rüstungschef Martin Sonderegger, Armeechef André Blattmann und Luftwaffenchef Aldo Schellenberg bei Bundesrat Parmelin antraben. Am Nachmittag folgte dann die Medienmitteilung, dass das Projekt sistiert werde. Heute nun wurde kommuniziert, dass sich der Bundesrat von Armeechef Blattmann trennt.

«Einsatzrelevante Leistungseinschränkungen»

Der umstrittene Entscheid der Projektaufsicht für die neuen Lenkwaffen fiel im Januar. Die vertraulichen Sitzungsprotokolle zeigen: Die Projektaufsicht wählte die beiden Waffen, obwohl Armeeprüfer vor dem Entscheid klar festhielten, dass beide Systeme «einsatzrelevante Leistungseinschränkungen» aufweisen, sogenannte «No-Go». Das heisst, dass beide Waffen zwingende Kriterien nicht erfüllen.

Die Beschaffungsexperten des Bundes machen in ihrer Präsentation klar, dass es nicht um kleine Unzulänglichkeiten geht und schreiben von «gravierenden Einschränkungen» bei beiden Waffen. Wie die «Rundschau» weiter berichtet, kommen die Spezialisten gar zum Schluss: «Entlang einer konsequenten Umsetzung des Evaluationsresultates dürfte kein System gewählt werden».

Waffen noch gar nicht im Einsatz – Kosten explodieren

Die Schweizer Armee will zwei Waffen beschaffen, die noch gar nicht im Einsatz sind: Die deutsche IRIS-T SL in der Testphase und die britische CAMM-ER, noch in der Entwicklung. Die «Zentralschweiz am Sonntag» berichtete im Februar als erste Zeitung kritisch über das umstrittene Rüstungsgeschäft. Da aber Beweise für ein Debakel fehlten, versuchten Armeevertreter seither hinter den Kulissen, das Geschäft schönzureden. Nun hat Bundesrat Guy Parmelin die Konsequenzen gezogen.

Luftwaffenvertreter warnten gemäss Sitzungsprotokoll die Projektaufsicht vor Risiken. Ein Offizier erinnerte das hochkarätige Gremium an das letzte Rüstungsgeschäft, das in einem Debakel endete, der Beschaffung des Kampfflugzeuges Gripen. Auch dieser war noch nicht erprobt («Papier-Flieger») und erfüllte Anforderungen nicht. Doch die Aufsicht unter der Führung von Korpskommandant Aldo Schellenberg ignorierte die Warnungen, entschied sich gegen eine Verschiebung – und für die zwei ungenügenden Systeme.

Durch die Beschaffung der zwei Waffen entstehen gemäss interner Einschätzung «Mehrkosten». Die Projektleitergruppe bezeichnet die Finanzierbarkeit als «fraglich». Damit ist schon heute absehbar, dass das Projekt finanziell aus dem Ruder läuft. Ursprünglich mit 750 Millionen Franken budgetiert, relativierte Rüstungschef Martin Sonderegger, der ebenfalls im Bild war über den Projektstand, die Kosten gegenüber der Presse bereits auf etwa eine Milliarde. Ein Offizier warnte intern an der entscheidenden Sitzung vor doppelt so hohen Kosten.

Parmelin: «Manchmal gibt es Terminkollisionen»

Bundesrat Guy Parmelin sagt an der «Rundschau»-Theke, es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem Rücktritt des Armeechefs und den Problemen im Projekt Bodluv: «Manchmal gibt es Terminkollisionen, wir haben seit Januar über den Rücktritt diskutiert.»

Das Projekt werde nun mit der vorläufigen Sistierung intern analysiert, so Parmelin: «Wir müssen schauen, wo die Probleme sind und ob wir Alternativen haben.» Dabei müsse er auch mit dem Luftwaffenchef Aldo Schellenberg diskutieren.

Untersuchung gefordert

SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz sagt, er sei froh, dass Bundesrat Parmelin das Projekt gestoppt habe. Amstutz fordert eine gründliche Untersuchung und schliesst auch personelle Konsequenzen nicht aus: «Wenn der Luftwaffenchef die Verantwortung nicht richtig wahrgenommen hat, was aus diesem Protokoll heraus zu vermuten ist, dann gilt es zu diskutieren, ob er diese Aufgabe weiterführen kann.»

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