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Wahlen 15 «Mehr Macht ist auch mehr Verantwortung»

«Vielleicht kann sich die politische Rechte jetzt weniger aus der Verantwortung ziehen.» Diesen möglichen Effekt sieht der Germanist Peter von Matt im Wahlausgang vom Wochenende. Ein Heilmittel gegen die Polemik in öffentlichen Debatten gebe es nicht, betont er und kritisiert auch die Medien.

Der Literaturwissenschafter Peter von Matt macht sich in seinen Texten immer wieder Gedanken zur literarischen und politischen Schweiz. Woher sie kommt, wo sie steht und wohin sie geht. Erklärungen und Schlüsse zum Rechtsrutsch in den Eidgenössischen Wahlen vom Wochenende gibt er im SRF-Interview.

SRF News: Hat die Angst den Wahlzettel diktiert?

Peter von Matt: Angst ist vielleicht ein zu krasses Wort. Aber es ist sicher das, was man das «Luftschutzkeller-Syndrom» oder auch den «Luftschutzkeller-Reflex» nennen könnte. Ein ungefähres, unbestimmbares Gefühl der Bedrohung, des nicht mehr Beherrschbaren. Dann sucht man Schutz und geht bei einer Abstimmung zu jenen, die sagen: Bei uns ist alles ganz eindeutig, wir sind dagegen, also bist Du bei uns geschützt.

Die Schweiz lebt in Wohlstand und Frieden, wieso kann sich dieses Unbehagen so breitmachen?

Es kommt von aussen. Es ist eine uralte Tendenz in der Schweiz: Wenn die Weltgeschichte sich einem nähert, dann muss man aufpassen. Die Schweiz war immer ein kleines Land. Sie konnte immer aufgefressen werden von den Grossstaaten. So gibt es die Schutzreflexe in den verschiedensten Situationen.

Hat also die SVP das beste Sensorium für die Sorgen der Menschen?

Peter von Matt

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Legende: Keystone

Der Literaturwissenschaftler und Publizist Peter von Matt lehrte von 1976 bis 2002 Neuere Deutsche Literatur an der Universität Zürich. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehört der Schweizer Buchpreis 2012 für sein Werk «Das Kalb vor der Gotthardpost». Von Matt wurde am 20.Mai 1937 geboren und wuchs in Stans (NW) auf.

Ich würde das nicht unbedingt so formulieren. Sie hatte einfach Glück mit der gegenwärtigen Situation. Vor vier Jahren war es genau gleich, als die Grünen von der Angst vor explodierenden Atomkraftwerken profitiert haben.

Sie sprechen vom «Glück» der SVP. Doch hätten nicht die anderen Parteien das Thema Migration auch mit Erfolg aufgreifen können?

Die SVP hat es vereinfacht, in eine Ja- oder-Nein-Situation verwandelt. Es ist ein Grundakt der politischen Propaganda, wenn man eine komplexe, nur auf Umwegen lösbare Situation derart vereinfacht. Dann hat man die Leute, denn sie denken, sie seien am richtigen Ort.

Ist das Bedürfnis nach Ordnung nicht legitim bei komplexen Sachverhalten?

Natürlich ist das legitim. Ich kritisiere das Verhalten nicht. Der Ablauf ist völlig verständlich und logisch. Die Frage ist nur, was damit passiert. Wir leben jetzt vier Jahre lang mit einem neu aufgemischten Parlament. Es kommt nun darauf an, wie sich dieses Parlament aus der Affäre zieht. Mehr Macht ist auch mehr Verantwortung. Vielleicht kann man sich jetzt auf der politischen Rechten weniger aus der Verantwortung ziehen.

Im Wahlkampf sind die drängendsten politischen Themen wie Sozialversicherungen und Energiewende ignoriert worden. Wie geht das?

Es war lächerlich. Die Zeitungen bestanden ja nur aus Abstimmungsprognosen, als ob jemanden solche Spekulationen interessieren würden. Als ob sie sonst nichts zu schreiben gewusst hätten. Ich habe noch nie ein solches Cabaret erlebt. Man hat das Unangenehme ausgeblendet.

Warum?

Man hätte sonst Stellung beziehen müssen. Es gibt ein Gesetz, das besagt, dass mit der Wahrheit keine Stimmen zu machen sind. Man hätte hier mit der Wahrheit der Situation und der Wahrheit der drohenden und auch kommenden Gefahren operieren müssen. Also weicht man aus und gaukelt den Leuten eine auf ein Problem reduzierte Situation vor.

Nun ist der plakative öffentliche Diskurs mit Stimmen belohnt worden, eine Einladung zur Nachahmung. Wer stellt jetzt den differenzierten Diskurs sicher?

Audio
Nachlese zum Sonntag: «Es ist das Luftschutzkeller-Syndrom»
aus Echo der Zeit vom 20.10.2015. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 44 Sekunden.

Es ist nicht anzunehmen, dass einzelne Parteien, die vom plakativen Diskurs profitieren, anders operieren werden. In Tat und Wahrheit müssen die Probleme aber gelöst werden. Das geschieht nur durch den differenzierten Diskurs zwischen den Parteien und in einer verantwortungsbewussten Öffentlichkeit. Das muss kommen, weil es sonst gar nicht geht.

Die Welt ist zunehmend komplex und unvorhersehbar. Macht das nicht das langsame und vorausschauende Politisieren fast unmöglich?

Man müsste sich endlich einmal eingestehen, dass die Unvorhersehbarkeit immens zugenommen hat. Was seit dem 1. Januar 2015 alles passiert ist, wovon wir keine Ahnung hatten und woran wie nie gedacht hätten: Frankenkurs, Terrorismus in Paris, Syrien-Flüchtlinge, der Triumph des Islamischen Staates und vieles weitere.

Wenn man sich vorstellt, dass es in den nächsten zehn Monaten so weitergeht, läuft es einem kalt über den Rücken. Aber man muss sich darauf einstellen. So zu tun, als ob die Probleme abschliessend da sind und nur noch gelöst werden müssen, scheint mir eine Gefahr zu sein.

Was führt aus diesem Teufelskreis heraus, wo man nur aus Reflex handelt?

In der öffentlichen politischen Debatte wie auch in der medialen Debatte, wo es um Polemik geht, gibt es kein Heilmittel. Da bleiben die Plattitüden vorderhand das Zahlungsmittel. Wir haben aber auch differenzierte Medien, wo ein analytischer und scharfsinniger Diskurs regiert, der in der Schweiz hochstehend ist.

Das Interview führte Simone Fatzer.

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