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Nora Zukker
SRF 3
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Tatort Thailand: «Täuschung» der neue Krimi von Petra Ivanov

Die Zürcher Krimiautorin Petra Ivanov schickt ihre Ermittlerin Jasmin Meyer in «Täuschung» nach Thailand, wohin sich ihr Vater vor Jahren abgesetzt hat und als verschollen gilt. Es ist der dritte Fall von Ivanovs Ermittlerduo Meyer und Palushi.

Was ist das Geheimnis um Jasmin Meyers Vater? Er hat sie verlassen, als sie noch ein Kind war, hat sich nach Thailand abgesetzt, war dort in dubiose Geschäfte verwickelt und gilt seit nunmehr zehn Jahren als verschollen. Die Mutter verstummt, wenn die Rede auf ihn kommt, und wirft so immer drängendere Fragen auf anstatt sie zu beantworten. Jasmin beschliesst, nach Thailand zu reisen und sich auf die Suche zu machen. Die Reise stellt sie und ihren Freund Pal Palushi vor ungeahnte Herausforderungen. Sie sucht im ganzen Land, unter Einheimischen und Schweizer Auswanderern, in geheimnisvollen Höhlen und dubiosen Bars nach Puzzlestücken der Vergangenheit. Mächtige Clans wollen sie ausschalten. Zuletzt stösst sie auf Dinge, die sie und ihre Familie im Innersten erschüttern.


Der Regionalkrimi-Boom

Fünf Regale mit Krimis gibts im Orell Füssli in Zürich. Eines davon verschreibt sich ausschliesslich den Regionalkrimis. Die LeserInnen lieben die Geschichten, die im Züri Oberland oder in der Stadt spielen. Je näher das Unheimliche ans Vertraute kommt, umso mehr steigt die Spannung. Die LeserInnen werden zu Co-ErmittlerInnen und möchten unbedingt wissen, wo die Täter ihre Verbrechen planen und in welchen Bars die ErmitterInnen ihr Bier trinken, wenn der Fall gelöst ist.

Petra Ivanov - die Unermüdliche

Die Zürcher Autorin ist beflissen und genau. Ihr sagt man nach, dass sie akribisch recherchiert für ihre Bücher. Ob nun ein Jahr Albanisch gelernt wird, ein Schiesstraining abolviert wird oder einer Leichenobduktion beigewohnt wird - Petra Ivanov will es genau wissen und das dankt ihr die grosse und treue Leserschaft. Kaum ein ihrer Krimis ist ist weniger als 300 Seiten dick. Im neusten Fall des Ermittlerduos Meyer und Palushi wird das Privatleben von Jasmin Meyer zum Kriminalfall. Es gehört schon fast zum guten Ton eines Krimis, dass auch die Ermittelnden ein aufwühlendes Leben führen, dass sich dann immer irgendwie mit dem Fall den es zu lösen gilt vermischt.


Leseprobe

»Euer Großvater ist gestorben«, sagte Edith Meyer.
Jasmin stellte die Spaghetti-Sauce in Zeitlupe auf den Tisch. Ralf ließ sich auf einen Stuhl fallen, Bernie blieb wie angewurzelt stehen. Edith schaute ihre Kinder eines nach dem anderen an.
Bernie sprach als Erster. »Unser Großvater?«, wiederholte er langsam. »Ich dachte, dein Vater wäre bei einem Sturz vom Dach ums Leben gekommen.«
»Ich rede nicht von meinem Vater.«
Jasmin öffnete den Mund, doch kein Ton kam heraus. Sie hatte sich als Kind damit abgefunden, dass ihre Familie anders war als andere Familien. Da war keine Großmutter gewesen, die Enkel hütete, kein Großvater, der ihnen heimlich eine Münze oder ein Stück Schokolade zusteckte. Während ihre Klassenkameraden sonntags Verwandte besuchten, verbrachten Jasmin, Bernie und Ralf den Tag alleine zu Hause. Hatte ihre Mutter frei, ging die Familie manchmal spazieren, meist erledigte Edith jedoch das, wofür sie unter der Woche keine Zeit fand: Sie putzte, nähte Flicken auf Hosenknie, kontrollierte Hausaufgaben, sortierte Rechnungen.
»Wir haben einen Großvater? Und du hast nie ein Wort gesagt?« Bernie klang mehr erstaunt als verärgert.
Edith schob ihr Kinn vor. »Wir haben den Kontakt abgebrochen, als dein Vater uns sitzen ließ.«
»Wo?«, fragte Ralf. »Ich meine, wo lebt er? Hat er gelebt?«
»In Altstetten.«
»In Zürich-Altstetten?«, stieß Jasmin aus.
Edith mied ihren Blick. Sie schöpfte Spaghetti und verteilte die Sauce.
In Jasmins Kopf überschlugen sich die Fragen.
Bernie erging es offenbar nicht anders. Er setzte sich und sagte: »Nun mal ganz langsam. Unser Großvater wie heißt er schon wieder?«
»Heiri.«
»Heiri hat die ganze Zeit in Zürich gelebt? Warum hat er sich nie gemeldet?«
»Weil er ein Kotzbrocken war«, meinte Ralf. »Genau wie Vater.«
Bernie sah Edith an, doch sie schwieg.
»Mam?«, fragte Jasmin. »Ich versteh das auch nicht.«
Edith seufzte. »Da gibt es nichts zu verstehen. Wir haben den Kontakt abgebrochen. Was geschehen ist, ist geschehen. Sich den Kopf darüber zu zerbrechen, bringt nichts. Reden wir lieber über die Erbschaft.«
»Wir erben etwas?«, fragte Bernie.
»Ein Haus.«
»Ohne Scheiß?«, platzte Ralf heraus. »Wie viel ist es wert?«
»Ich erinnere mich daran!«, warf Bernie ein. »Es hat grüne Fensterläden.«
Edith nickte. »Wir waren ab und zu dort zu Besuch.«
Bernie schloss die Augen. »Trug Großvater Hosenträger?«
»Ja«
»Wie viel ist das Haus wert?«, wiederholte Ralf.
»Laut Schätzung des Notars 750?000.«
Es wurde still am Tisch.
»750?000?Franken?«, brachte Jasmin heraus.
»Es sind keine Hypotheken drauf.«
»Holy shit«, hauchte Ralf.
»Ihr könnt es entweder verkaufen, oder einer von euch kann die anderen auszahlen und selber einziehen. Das müsst ihr untereinander besprechen.«
»Damit kann ich die längst fälligen Investitionen in die Garage finanzieren!«, frohlockte Bernie.
Ralf grinste. »Ich kann mir eine ganze Menge Dinge vorstellen, die ich mit dem Geld anstellen könnte!«
Jasmin hörte nur mit halbem Ohr zu.
Bernie hob sein Glas. »Lasst uns anstoßen! Auf Heiri!«
»Auf Heiri!«, stimmte Ralf ein. »Mini? Was ist?«
Jasmin sah ihre Mutter an. »Etwas verstehe ich nicht«, sagte sie langsam. »Warum bekommen wir das Haus? Vater ist doch der rechtmäßige Erbe.«
Stille legte sich über den Tisch. Jasmin konnte förmlich sehen, wie die Gedanken durch die Köpfe ihrer Brüder rasten. Ihre Mutter hörte auf zu kauen.
»Mam?«
Edith schluckte den Bissen herunter, tauchte die Gabel in die Spaghetti und wickelte sie auf, als gelte die Frage jemand anderem.
»Mam!«
»Kein Grund, laut zu werden! Ich höre dich auch so!«
»Dann sag etwas!«
Schließlich legte Edith die Gabel hin und blickte ihre Kinder eines nach dem anderen an.
»Euer Vater ist verschollen.«
»Dann wird ihn der Notar suchen lassen«, sagte Jasmin.
»Nein, ich meine, offiziell«, erklärte Edith. »Er gilt laut Gericht als verschollen.«
»Das kann nicht sein«, widersprach Jasmin. »Eine Verschollen-Erklärung wird erst nach Jahren ausgestellt.«
»Nach einem Jahr.« Edith mied ihren Blick.
»Woher weißt du das? Du meinst das Verfahren ist bereits abgeschlossen? Warum wussten wir nichts davon?«
Bernie hob die Hand. »Langsam, bitte! Kann mir das mal einer erklären? Welches Verfahren?«
Jasmin sah ihn an. »Wenn jemand verschwindet, gilt er als vermisst. Vermutet man, dass er tot ist, kann es aber nicht beweisen, lässt man ihn für verschollen erklären. Aber dafür müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. Entweder hat sich die Person über Jahre hinweg nicht gemeldet, oder man kann davon ausgehen, dass ihr etwas zugestoßen ist.« Sie wandte sich wieder an ihre Mutter. »Das dauert aber viel länger als ein Jahr. Bis das Begehren überhaupt gestellt werden kann, müssen mehrere Jahre vergehen.«
»Fünf.«
Jasmin holte Luft. »Du hast das Begehren du weißt seit sechs Jahren, dass Vater verschollen ist? Und hast es nie für nötig erachtet, uns etwas zu sagen?«
»Was ich für nötig erachte und was nicht, geht einzig und alleine mich etwas an.« Ediths Augen blitzten.
Bernie lehnte sich im Stuhl zurück. »Ehrlich gesagt, verstehe ich das auch nicht.«
»Da gibt es nichts zu verstehen.« Edith verschränkte die Arme. »Für mich ist euer Vater vor vierundreißig Jahren gestorben. Als er sein Wohlbefinden über das seiner Familie stellte.«
»Wo wurde er zuletzt gesehen?«, fragte Bernie.
Edith wischte die Käsekrümel auf dem Tisch zu einem Haufen zusammen.
»In Thailand«, sagte sie schließlich.


Petra Ivanov
Täuschung
Unionsverlag, 356 Seiten
ISBN: 978-3-293-00507-5

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