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Nora Zukker
SRF 3
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Sprachgewalt: Rapperin Kate Tempest hat ein Buch geschrieben

Sie hat blonde Locken und rote Backen. Eine unauffällige Erscheinung. Bis sie auf der Bühne steht und rappt. Dann hält auch der Wu-Tang Clan inne. Jetzt ist ihr erster Roman «Worauf du dich verlassen kannst» erschienen. Kate Tempest schleudert uns ihre Worte hin und wir lesen sie gerne.

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Die Wortakrobatin aus London wird als Wunderkind gefeiert

Kate Tempest, Jahrgang 1985, ist Lyrikerin, Spoken Word artist und Dramatikerin. Für ihr Stück «Brand New Ancients» ist sie 2013 als erste und einzige Künstlerin unter 40 mit dem renommierten Ted-Hughes-Preis ausgezeichnet worden, einem der wichtigsten Lyrik-Preise des Landes. Die britische Presse feierte Kate Tempest darauf als «the brightest talent around.» (The Guardian) und als «Britain's leading young poet, playwright and rapper...one of the most widely respected performers in the country – the complete package of lyrics and delivery.» (The Huffington Post).

Gute Absichten führen nicht zwingend zu den richtigen Entscheidungen

Die preisgekrönte Rapperin und Lyrikerin Kate Tempest presst mit ihrem Debüt ihre Hand ans finstere, schlagende Herz der Metropolen, das im allesüberdauernden Takt von Drogen, Begehren und Freundschaft schlägt. Ihre Helden Becky, Pete, Leon und Harry haben Jobs, für die es keine Ausbildung und Geld, für das es ungewaschen keine Verwendung gibt. Sie müssen raus, raus aus London – und kommen doch nicht davon los. Tempest nimmt uns mit in die Häuser und Herzen der kleinen Leute, in ihre Familien und zeigt uns Momente voller Schönheit, Enttäuschung, Ehrgeiz und Scheitern. Klug, niemals zynisch und immer voller Empathie stellt «Worauf du dich verlassen kannst» die Frage, wie wir leben und einander lieben.

Leseprobe

Es kriecht dir in die Knochen. Du merkst es nicht mal. Erst wenn du daran entlangfährst, das immer schon Vertraute vorbeigleiten und zurückbleiben siehst. Sie fahren an den Straßen, den Läden, den Ecken vorbei, die sie zu dem machten, was sie sind. Die Geister von damals, sie alle sind da draußen. Starren ihnen verpickelt, mit eingesunkenen Augen und einem wahnsinnigen Grinsen aus der Vergangenheit hinterher. Es steckt ihnen in den Knochen. Brot, Alkohol und Beton. Wie schön, das alles. All die kleinen Augenblicke flackern auf. Prediger, Eltern, Arbeiter. Romantiker mit leerem Blick und ohne Perspektive. Die Straßenlaternen und der Verkehr, die Toten, die begraben, und die Babys, die gezeugt werden müssen. Ein Job. Nur ein Job. Menschen töten wieder für Götter. Uns tötet das Geld. Sie leben in so vollkommener Einsamkeit, dass Freundschaften daraus gestrickt sind. Ihre Tage vergehen damit, Dinge anzustarren. Sie existieren in der Masse und fühlen sich als Teil des großen Ganzen. Sie misstrauen allem außer Trends. Ihre Hoffnung besteht darin, abends rauszugehen und sich abzuschießen, die Gesichter entstellt von Alkohol und Drogen, die sich am Morgen grausam rächen. Und doch, hier sind sie und kehren dem Stress und dem Drecksfraß und den ewigen Missverständnissen den Rücken. Sie lassen alles zurück. Das Jobcenter, das Klassenzimmer, die Kneipen, das Fitnessstudio, den Parkplatz, die Wohnung, den Dreck, das Fernsehen, die permanente Zumutung der Nachrichten, den Staubsauger, die Zahnbürste, die Laptoptasche, das teure Haarpflegeprodukt, das dir tief drinnen ein besseres Gefühl gibt, die Schlange vor dem Geldautomaten, das Kino, die Bowlingbahn, den Handy-Laden, die Schuldgefühle, die völlige Leere, die überall lauert, den Schmerz, mit anzusehen, wie aus einem Mensch ein Schatten wird. Die Gesichter der Menschen verwandeln sich zurück in Fratzen, sie reihern ihr Innerstes in die Gosse, umklammern ihre Liebhaber so lange, bis sie sich die Luft zum Atmen nehmen und die Liebe tot zurückbleibt, nasser Beton und Sprühfarbe, Kinder, die Pornos gucken und Monster trinken. Sieh, durch feuchte Augen und blutige Finger, wie die Stadt zugrunde geht und wiederaufersteht. Klammer dich an Karaoke-Hits und Powerballaden. Folg deinem Talent. Deinem Supertalent. Treib es in die Enge, sperr es in einen Käfig, gib den Schlüssel einem reichen Sack und sag dir, dass du tapfer bleibst. Kippel auf deinem Stuhl, sieh unverwandt in die Augen eines Widerlings und nimm ihn trotzdem mit nach Hause. Erzähl der Welt, dass du dir treu bleibst. Nichts hier gehört dir, aber du kannst alles kaufen, hau alles raus, bis deine Kraft nachlässt, und wenn sie fast verbraucht ist, lad dir noch Schmerzen und Geheimnisse auf. Das hier ist das Paradies, alles schreit danach, so lange, bis da keine Gefühle mehr sind. Leck es auf, saug es dir rein, schmeiß direkt noch was nach. Drück es tief in deine Vene und versuch für den Rest deines Lebens wieder davon runterzukommen. Jetzt schließ deine Augen und mach, dass es aufhört. Aber es hört niemals auf.

 

Worauf du dich verlassen kannst
Kate Tempest
Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3-499-26989-9

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