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60% Joschka, 40% Herr Fischer
Bild: Filmcoopi
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60% Joschka, 40% Herr Fischer

«Mir war nicht zum Lachen zumute», sagt Joschka Fischer zu seiner Wahl zum ersten Grünen Aussenminister Deutschlands. Erfrischend ehrlich erinnert sich der ehemalige Spitzenpolitiker in Pepe Danquarts «Joschka und Herr Fischer» an sein Leben.

Authentischer bekommt man Geschichte im Kino selten vorgesetzt.

Nach drei Sportdokumentationen - «Heimspiel», «Höllentour» und «Am Limit» - ­widmete sich der deutsche Regisseur Pepe Danquart der Politik und Geschichte seines Landes in der Person von Joschka Fischer.

Danquart charakterisiert den Ex-Aussenminister so: «Fischer, ein Kind von ungarischen Aussiedlern, wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg im Schwabenland auf, in den Schock hinein, dass die Elterngeneration nicht nur Opfer des Krieges, sondern vor allem auch Täter waren.


Rock'n'Roll und Vietnam

Er erlebte die Irritationen in der Pubertät und begegnete einer neuen Jugendkultur, dem Rock'n'Roll. Über den Vietnam-Krieg politisierte er sich und lebte dann ein sehr wildes Jahrzehnt in der Frankfurter Sponti-Szene.

Vor dem Hintergrund der sozialen Bewegungen der 60er und 70er Jahre in Europa, zumal in Frankreich und Italien, machte Fischer Betriebsarbeit bei Opel, um das Proletariat zu suchen - nicht ahnend, wie Johnny Klinke es im Film sagt, dass es die Investment-Banker sein werden, die den Kapitalismus abschaffen.


Taxifahren und Anti-AKW-Bewegung

Mit dem Terrorismus der RAF erlebte Fischer dann den ersten grossen Schock. Er begann Taxi zu fahren, was für ihn eine Phase der Ruhe und des Besinnens war. Dabei wurde er zum Realisten und fand sich plötzlich in einer Partei wieder - was er sich vorher gar nicht vorstellen konnte - einer Partei, die aus der Bewegungsideologie heraus entstanden war.

Die Anti-AKW-Kämpfe begannen, bei denen er zunächst gar nicht dabei war, doch er hatte wahrgenommen, dass hier erstmals die radikale Linke mit dem Bürgertum eine Verbindung einging.

Dann war er der erste grüne Minister in einer Landesregierung, allerdings kaum mit Kompetenzen ausgestattet. Anschliessend folgte seine Zeit im Bundestag und als Staatsmann. Das war alles so nicht vorhersehbar, auch nicht so geplant und ist deswegen auch so aussergewöhnlich.»


Machart des Films

Ebenso aussergewöhnlich ist die Machart des Films. Auch dies erklärt Pepe Danquart hier gleich selber: «Ich habe aus Archivmaterial 24 kurze Filme in der Länge von jeweils drei Minuten geschnitten. Sie wurden als Loops, Endlosschleifen, auf Glaswände projiziert. Ich habe Fischer völlig unvorbereitet, ohne ihm ein Wort zu sagen, dort hineingestellt.

Und weil das Vertrauen zwischen uns so gross war, begann er, diese Bilder mit aufzunehmen in seine Erzählung. Plötzlich fängt er an, sich in die Zeit zu versenken, in die Zeit hineinzusinken, plötzlich platzen Erinnerungsblasen.

Er sah die Dörfer, die Landschaft, den Pfarrer, bei dem er Ministrant war. Plötzlich flog der Farbbeutel wieder an sein Ohr, die Häuser, die er besetzt hatte, waren wieder präsent, und plötzlich fing er an, wieder in dieser Zeit zu leben.


Emotionales Erzählen

Dadurch, dass man diese Bilder immer wieder sieht, und dadurch, dass man Joschka Fischer als Erzähler hat, der sich hinein begibt in diese Geschichte, entstand ein Film mit einer hohen Authentizität. Emotionales Erzählen, was man so von ihm noch nicht kannte.»

Das Experiment ist gelungen. Für jüngere Kinogänger mag der Film zwar etwas viel Vorwissen voraussetzen, die Faszination dürfte allerdings auf alle wirken. Da erzählt ein ehemaliger Spitzenpolitiker frei von der Leber und ehrlich, wie alles aus seiner Sicht war. Stark. (rb)