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Auto-Nostalgiker erinnert sich «An mein Auto sind tausende Erinnerungen geknüpft»

Der 85-Jährige Walter Isenschmid hat miterlebt, wie das Auto ab den 1950er-Jahren die Schweiz eroberte. Er erzählt, wie das Auto von der Rarität langsam zur Selbstverständlichkeit wurde und welche Emotionen mit der neu gewonnenen Freiheit verbunden waren.

Wenn Walter Isenschmid an sein erstes Auto denkt, leuchten seine Augen. 1959 – ein gebrauchter Fiat Topolino. Klein, laut – und für ihn das Tor zur Freiheit. Spulen wir noch ein paar Jahre zurück.

Isenschmid wuchs in den 1940er-Jahren in einem Dorf in der Nähe von Bern auf. Da machte er die allererste Begegnung mit einem Auto – ein damals noch ungewöhnlicher Anblick. Denn: Ein eigenes Auto konnten sich in dieser Zeit nur wenige leisten. Zudem war Benzin in den Kriegsmonaten rationiert.

Autofahren war damals etwas sehr Spezielles, was nicht jeder erleben konnte.

Das einzige Auto im Dorf gehörte dem Notar, dem Vater eines Kinderfreundes des kleinen Walter. «Ein schokoladenbrauner Mercedes war das», erinnert sich der heute 85-Jährige. «Am Sonntag ist er manchmal mit uns Kindern ausgefahren. Autofahren war damals etwas sehr Spezielles, was nicht jeder erleben konnte.»

Von der Rarität zum Volksfahrzeug

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg wurde der Traum vom eigenen Auto für immer mehr Menschen realisierbar. Die Anzahl an Personenwagen nahm seit den 1950er-Jahren exponentiell zu.

Der Ausbau des Strassennetzes

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Mit zunehmender Anzahl Autos wurde auch die Nachfrage nach grösseren Strassen laut. Länder wie Deutschland oder Italien hatten in der Zwischenkriegszeit bereits mehrspurige Autostrassen gebaut. Da wollte die Schweiz als Transitland den Anschluss nicht verpassen.

Der Bau der Autobahn wurde zum politischen Projekt. Der Ausbau des schweizerischen Strassennetzes hatte sich zur «dringenden Gegenwartsfrage» entwickelt, wie der Bundesrat in einem Bericht verlauten liess.

1958 stimmten die Schweizer Stimmbürger dem Bundesgesetz über die Nationalstrassen mit grosser Mehrheit zu. In den Folgejahren wurden nach und nach immer neue Teilstücke eröffnet. Heute hat die Schweiz eines der dichtesten Strassennetze Europas.

Das Auto versprach Unabhängigkeit und Freiheit. Dies faszinierte auch den jungen Walter Isenschmid: «Das wollte ich auch können; einfach einsteigen und losfahren. Bei jedem Wetter und zu jeder Zeit.»

Walter Isenschmid wird mobil

Gross war die Freude, als er sich 1959 sein erstes eigenes Auto kaufen konnte. Auch seine Freunde mochten den kleinen Occasion-Topolino.

Er und seine Freunde waren viel unterwegs, nicht selten sogar zu fünft im kleinen Dreiplätzer. «Weil der Fahrersitz bereits von einem meiner Freunde besetzt war, stand ich mehr als einmal zum Fahren», erinnert sich Isenschmid schmunzelnd. Damals gab es noch keine Verkehrsregeln. Gurtenpflicht und Tempolimiten kannte man noch nicht.

Wenn Freiheit Benzin braucht

Mit dem eigenen Auto wurde möglich, was früher zu umständlich oder zu teuer war. Auch mehr Freizeit führte dazu, dass Sonntagsausfahrten beliebt wurden. Walter Isenschmid erinnert sich an viele Passfahrten, die er mit Freunden und später mit seiner Familie unternommen hat.

Individuell von A nach B

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Die Motorisierung der Schweiz hatte Auswirkungen auf diverse Lebensbereiche. Dass grössere Strecken plötzlich in kürzerer Zeit überwindbar wurden, kannte man schon von der Eisenbahn her. Doch die neu gewonnene Unabhängigkeit, die ein eigenes Auto mit sich brachte, war begehrt.

Wohnen im Grünen

Nach dem 2. Weltkrieg hegten viele Schweizerinnen und Schweizer nach dem Vorbild Amerikas den Traum vom Einfamilienhaus im Grünen, was zu einer zunehmenden Suburbanisierung führte. Ein eigenes Auto erleichterte das Wohnen in der Peripherie. Die Individualmotorisierung trieb die Zersiedelung der Schweiz weiter voran.

Pendeln

Wie die meisten Verkehrsmittel hat das Auto den Verkehr schneller und günstiger gemacht. Die Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort vergrösserte sich mit zunehmendem Individualverkehr allmählich.

Pendeln wurde einerseits aufgrund der Spezialisierung der Arbeitswelt zunehmend zur Notwendigkeit, andererseits erleichterte es das Auto, eine Arbeitsstelle ausserhalb der eigenen Wohngemeinde oder gar des Wohnkantons anzunehmen.

Freizeit

Das Auto war nicht nur praktisch, um vom Wohnort schneller an den Arbeitsort zu gelangen, sondern es nahm bei vielen Schweizerinnen und Schweizern auch in der zunehmend vorhandenen Freizeit einen wichtigen Stellenwert ein.

Die individuelle Mobilität des Autos ermöglichte es, Tagesausflüge zu machen – auch an Orte fernab des ÖV-Netzes. Auch das Konzept Ferien war nach dem 2. Weltkrieg ein eher neues Phänomen. Das Auto bot die Möglichkeit, flexibel und mit viel Gepäck zu verreisen.

«Es war ein Highlight, am Wochenende die Grimsel zu überqueren und heil nach Hause zu kommen», so Isenschmid. Früher war Autofahren – besonders über Pässe – deutlich abenteuerlicher. Die Autos waren weniger leistungsstark und auf kurvenreichen Strassen schwerer zu lenken.

Walter Isenschmid erinnert sich daran, wie regelmässig Pausen nötig waren, um die überhitzten Motoren abzukühlen. Dafür seien an den Passstrassen alle paar Kilometer Giesskannen bereitgestanden, um Kühlwasser nachzufüllen. Der Oldtimer-Liebhaber ist überzeugt: «Wenn Autofahren heute noch so umständlich wäre wie früher, würden viel weniger Leute Autofahren.»

Die Liebe bleibt – in Blech gegossen

Alte Autos faszinieren Walter Isenschmid - auch heute noch. Schon früh zeigte er handwerkliches Geschick. 1987 hatte er sich einen Traum erfüllt. Er kaufte einen MG TD, den er vollständig restaurierte. Zwei Jahre lang werkelte er daran – oft bis spät in die Nacht.

Sorgfältig zugedeckt steht der Oldtimer in der Garage und wird noch immer gepflegt. «Es gibt mir Genugtuung, ihn da stehen zu sehen und zu wissen, dass er nun perfekt ist.» Lächelnd fügt er hinzu: «An mein Auto sind tausende Erinnerungen geknüpft.»

Radio SRF 1, 31.05.2025, 17:50 Uhr

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