«Das habe ich noch nie erlebt.» Erich Keller, Landwirt aus Wittenbach, versteht die Welt nicht mehr: «Bei unseren Nachbarn stehen Apfelbäume, die tragen reife Früchte und gleichzeitig Blüten».
Das sei sehr interessant. Doch das Naturschauspiel wirft bei ihm und seinen Berufskolleginnen Fragen auf: «Werden wir im Frühling ein Problem haben, also weniger Blüten und somit weniger Ertrag?»
Erich Keller, der seine Faszination auf Instagram geteilt hat, ist nicht der einzige, der dieser Tage irritiert die Blütenpracht bestaunt. «Es scheint dieses Jahr schon speziell zu sein», sagt SRF-Gartenexpertin Silvia Meister. Sie hat aus diversen Landesteilen Fotografien erhalten, von blühenden Apfelbäumen.
Beunruhigt sein müsse man aber nicht, findet Matthias Schmid. Er leitet den Versuchsbetrieb Obstbaum bei Agroscope in Wädenswil. «Das Phänomen gibt es jedes Jahr.» Aber vielleicht nehme es man dieses Jahr intensiver wahr. Und viele fragen sich: warum?
Warum blühen Apfelbäume im Herbst?
Je nach Region können die Gründe unterschiedlich sein. Eine Erklärung ist Stress, ausgelöst zum Beispiel durch einen Hagelschlag, bei welchem der Baum sein Laub verliert. «Das bringt den Baum in ein Ungleichgewicht, in eine Stresssituation», so Schmid und «in seinem Überlebensdrang möchte er dann nochmals Früchte und Blüten machen».
Fakt ist aber auch: Einige Bäume haben noch nicht realisiert, dass Herbst wäre. Eigentlich müssten Bäume jetzt Nährstoffe einlagern, damit sie im Frühling mit diesen den Wuchs anregen können, erklärt Schmid.
«Bäume treiben aber gerne nochmals aus, wenn auf eine lange Trockenperiode eine Phase folgt, die feucht und mild ist.» So wie diesen Spätsommer. Und mild ist es nach wie vor. «Der Triebabschluss hat noch nicht stattgefunden. Der Baum wird noch mit Nährstoffen versorgt. So können Blüten entstehen.»
Was hat die herbstliche Apfelblüte für Auswirkungen?
«Den Bäumen schadet das gar nicht», beruhigt Gartenexpertin Silvia Meister. Die Herbstblüte dürfte kaum Auswirkungen haben, auch nicht auf den Ertrag. Man beobachte die Blüten vor allem an den Spitzen der jungen einjährigen Triebe, erklärt Matthias Schmid von Agroscope.
Einen Winterschnitt wird es auch noch geben. Er ist sicher: «Das hat auf nächsten Frühling keinen Einfluss. Der Baum wird blühen und er wird Früchte tragen.» Auch 2024 gibt es Äpfel.
Etwas tun könne man sowieso nicht. Der Natur müsse man ihren Lauf lassen. Und auch wenn es den Apfelbäumen selbst nichts nützt, die Fauna freut’s: «Die Hummeln profitieren. Sie ziehen den Nektar der Herbstblüten und fressen sich Fett an für den Winter. Und auch Wespen und Wildbienen geniessen den zweiten Frühling». Geniessen wir ihn auch.