Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Die BuchKönig bloggt Diese Schelminnen und Schelme bereiten mir närrische Freude!

Sie sind liebenswert, haben es faustdick hinter den Ohren und lenken ganz nebenbei den Lauf der Weltgeschichte. Ihre Namen: Noldi, Allan Karlsson, Baudolino, Trobadora Beatriz und Simplicissimus. Mein Kopf ist immer noch voll von ihren Flausen, Phantasien und Abenteuergeschichten!

Annette König schaut schelmisch drein und hält einen Stapel Schelmenromane in den Händen
Legende: Schelmereien, Schalk und Charme Annette König geht mit Hans Jacob Grimmelshausen, Irmtraud Morgner, Umberto Eco, Jonas Jonasson und Patrick Tschan auf eine vergnügliche und packende Zeitreise. Zuerst in den dreissigjährigen Krieg und nach Kuba in die Verbannung. Dann ins hohe Mittelalter, um schliesslich als Spielfrau in der DDR aufzuwachen. SRF

Bevor ich mit meinen Schelmenromanen loslege, das Wichtigste in Kürze. Diese Romanform ist in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Spanien entstanden. Hat dann in Europa – weil unterhaltsam – viele Nachahmer gefunden. Die Figur des Schelms stammt meist aus einfachen Verhältnissen, ist ungebildet, aber «bauernschlau». Er geht auf Reisen, erlebt Abenteuer, gerät in Kriegsscharmützel, durchläuft z. B als Kuhhirt, Soldat, Kriegsheld und Chronist alle möglichen gesellschaftlichen Schichten und wird dadurch zu deren Spiegel. Traditionell ist der Schelmenroman in der Ich-Form geschrieben, als fingierte Autobiografie. Der Ich-Erzähler blickt auf sein Leben zurück. Und was der Clou dabei ist: Unterhaltung, Dichtung und Gesellschaftskritik gehen dabei Hand in Hand!

Schelmenroman Nummer 1

Der Schelmenroman «Der abenteuerliche Simplicissimus Deusch» von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen liegt auf einer Beuteltasche
Legende: 1. Satz: «Es zeigt sich in dieser unserer Zeit (von der man glaubt, dass es die letzte sei) unter gewöhnlichen Leuten eine Sucht bei der die Patienten wenn sie daran erkranken und so viel zusammengerafft und erschachert haben, dass sie, neben ein paar Hellern im Beutel, ein närrisches Kleid mit tausenderlei Seidenbändern nach der neuen Mode ...» SRF

Der dreissigjährige Krieg wütet. Simplicissimus ist ein armer Viehjunge, der auf einem Bauernhof im Spessart aufwächst. Doch dann kommen Soldaten. Plündern, brandschatzen, bringen alle um. Der Junge flüchtet in den Wald. Bei einem Einsiedler findet er Schutz. Sein neuer Ziehvater bringt ihm Lesen und Schreiben bei. Als er stirbt, beginnt für Simplicissimus das grosse Abenteuer. Als Page, Hofnarr, Soldat, Bauer, Forscher und Weltenbummler reist er um den Erdball. Doch dann, auf einer seiner zahlreichen Überfahrten kentert sein Schiff. Jahre lebt er alleine auf einer Insel und schreibt seine Lebenschronik: «Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch», erschienen 1669. Der erste deutsche Schelmen- und Abenteuerroman und dazu noch die erste Robinsonade der deutschen Literatur überhaupt, lange vor Robinson Crusoe. Wow!

Schelmenroman Nummer 2

Der Schelmenroman «Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura» von Irmtraud Morgner liegt auf einer Beuteltasche
Legende: 1. Satz: «Beatriz de Dia war die Gattin von Herrn Guilhem de Poitiers, eine schöne und edle Dame.» SRF

Spielfrau Beatriz ist enttäuscht von den Männern. Sie lässt sich von der schönen Melusine in einen achthundertjährigen Dornröschenschlaf versetzen. 1968 wird sie - statt mit Kuss - durch die Flüche eines genervten Bauingenieurs geweckt und muss mit Schrecken feststellen, dass es um die Rechte der Frau noch immer nicht viel besser bestellt ist als zu ihren Zeiten. Damals im hohen Mittelalter in ihrer Heimat in der Provence. Ein vergnüglicher Roman, der die Rolle der Frau in der DDR in den 60er und 70er Jahren kritisch beleuchtet. Und übrigens die Trobadora Beatriz hat es tatsächlich gegeben. Sie lebte im späten 12. Jahrhundert und war eine verheiratete Gräfin, die einem anderen Mann Liebeslieder schrieb. Olala!

Schelmenroman Nummer 3

Der Schelmenroman «Baudolino» von Umberto Eco liegt auf einer Beuteltasche
Legende: 1. Satz: «Regensburg Anno Domini MCLV Chronik des Baudolino aus dem geschlecht der Aulari... ich hab gemacht den gröszten raub meines lebens indem ich genommen aus einem schrein des herrn bischoffs Otto vil bögen die villeicht gehörien der kaiserlichen Kanzlei und hab sie fast allesamt abgeschabet auszer wo es nit abgienc (...)» SRF

Konstantinopel, 1204. Die Hauptstadt des byzantinischen Reichs brennt. Sie wird erobert, geplündert und gebrandschatzt. Unter den Eroberern: Baudolino. Vor vielen Jahren begegnet der Waisenjunge aus dem Piemont dem Kaiser Barbarossa. Dieser frisst einen Narren an ihm und adoptiert den Jungen. Am Hof lernt Baudolino Lesen und Schreiben und nimmt sich einen Rat seines Lehrmeisters besonders zu Herzen: «Willst du ein Mann der Schrift werden, so musst du auch lügen und Geschichten erfinden können, sonst wird deine Historia langweilig.» Umberto Ecos Schelmenroman ist alles andere als langweilig. Er nimmt mich mit ins hohe Mittelalter. Fasziniert tauche ich ein in Baudolinos Lebensbericht. Wie er den Kaiser auf seinen Feldzügen begleitet von Oberitalien bis ins Heilige Land. Ein grossartiger, kurzweiliger Schelmenroman!

Schelmenroman Nummer 4

Der Schelmenroman «Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verwand» von Jonas Jonasson liegt auf einer Beuteltasche
Legende: 1. Satz: «Man möchte meinen, er hätte seine Entscheidung etwas früher treffen und seine Umgebung netterweise auch davon in Kenntnis setzen können.» SRF

Allan Karlsson ist mein Lieblingsschelm. An seinem 100. Geburtstag büxt er aus dem Altersheim aus. Auf seiner Flucht gerät er zufällig in den Besitz eines Koffers voller Geld. Gejagt von der Polizei, von Journalisten, Kriminellen und Mördern stellt er bald ganz Schweden auf den Kopf. Nichts Neues, wenn man den Alten kennt. Schon in jungen Jahren hat er die Weltgeschichte mit abstrusen Ideen, Theorien und Lügengeschichten völlig durcheinandergebracht. Ein Feel-Good-Roman der A-Klasse. Jonas Jonasson führt mich mit Witz, Schalk und Charme an die wichtigsten Schauplätze des letzten Jahrhunderts. Wer noch nicht das Vergnügen hatte, sollte den Hundertjährigen unbedingt kennenlernen!

Schelmenroman Nummer 5

Der Schelmenroman «Der kubanische Käser» von Patrick Tschan liegt auf einer Beuteltasche
Legende: 1. Satz: «Es war nicht so, dass Noldi Abderhalden in dieser bitterkalten Winternacht im Februar 1620 freiwillig über die eisigen Trampelpfade auf den Chüeboden oberhalb Alt-St. Johanns aufgestiegen wäre, um von dort seinen ganzen Schmerz über dieses verdammte Tal hinwegzuschreien.» SRF

Toggenburg, 1620. Der junge Kuhhirt Noldi Abderhalden ist hagelvoll. Er hat seinen Liebeskummer wegen dem Heidi in Schnaps ertränkt. Im Suff lässt er sich von der spanischen Armee als Söldner anwerben. Das hat er jetzt davon! Zieht in den Krieg gegen die Protestanten, ins Veltlin, nach Oberitalien, dann nach Spanien. Unterwegs rettet er den spanischen General Gómez Suárez de Figueroa y Córdoba, 3. Herzog von Feria, 2. Marques von Villalva, 1. Graf von Zafra vor einer Kanonenkugel. Noldi wird Kriegsheld - der Held von Tirano! Die Frauenherzen fliegen ihm nur so zu. Doch die vielen Marquesas und Princesas werden ihm zum Verhängnis. Er wird vor die Inquisition gezerrt und dank der Intervention von Figueroa beim Kaiser nicht zum Tode verurteilt, sondern nach Kuba verbannt. Ein Lesespass, der so richtig nach Kühen und Käse riecht.

Die Bücherliste

  • Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: «Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch» (Die Andere Bibliothek, 2018)
  • Irmtraud Morgner: «Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura» (btb, 2018)
  • Umberto Eco: «Baudolino» (dtv, 2001)
  • Jonas Jonasson: «Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand» (Penguin, 2017)
  • Patrick Tschan: «Der kubanische Käser» (Zytglogge, 2019)

Audio
BuchBar aus der Barakuba-Bar
aus BuchZeichen vom 12.06.2019.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 19 Sekunden.
Annette König

Annette König

SRF Literatur Redaktorin & Bloggerin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Die Germanistin teilt in ihrem Blog «Die BuchKönig» ihre Lese-Leidenschaft mit allen, die Bücher lieben. Nebenwirkungen wie Herzklopfen, Melancholie, Heiterkeit, Verzauberung, Unbehagen und Anzeichen schwerer (Sprach)Verliebtheit sind nicht ausgeschlossen.

Zum Blog «Die BuchKönig bloggt»

Meistgelesene Artikel