Kommissar Eschenbach ist von seiner Auszeit zurück. Drei Monate war er bei seiner Tochter in Los Angeles. Derweil ist bei der Kripo Zürich die Stimmung auf den Nullpunkt gesunken: Eschenbachs Crew ist muffig und demotiviert. Grund: Eschenbachs Stellvertretung ist eine kühle Frau, die nicht mit offenen Karten spielt. Ermittlungen ohne Grund einstellt, im Hauruckverfahren Fälle zum Abschluss bringt. So wie den Fall Walter Habicht um einen ehemaligen Assistenzprofessor an der ETH. Vor wenigen Tagen hat man ihn tot in einer Wohnung gefunden. Nierenversagen.
Eschenbach - noch schlaff vom Jetlag - rollt den Fall Habicht neu auf. Die Indizien deuten auf Mord. Schon bald merkt er, dass er von seiner Stellvertreterin systematisch umgangen wird, weil sein Freund Lenz zu den Verdächtigen gehört. Ausgerechnet Lenz! Doch der scheint wie vom Erdboden verschluckt. «Während sich Eschenbach noch über dem Atlantik befand, mit Anflugziel Zürich, stieg Lenz in seinen alten Saab und fuhr in Richtung Freiburg los.» Eschenbach weiss nichts davon. Er ermittelt - allen Widerständen zum Trotz - weiter. Und ahnt nicht, dass der Fall Habicht höchst brisant und von internationaler Tragweite ist.
Daumen rauf
- Spannung, mal anders. «Lenz» ist weder ein klassischer Ermittlungskrimi noch ein bloody Thriller. Hier wird Spannung durch Suspense, Kontroverse und Empörung erzeugt. Suspense; Weil ich nie weiss, ob Lenz heil davon kommt. Kontroverse: Weil Theurillats Figuren in der Syrien-Frage eine Pro-Assad-Haltung einnehmen. Empörung: Weil ich erfahre, wie mit Fake-News Geld und Meinung gemacht wird.
- Syrien, mal anders. «Lenz» ist kein Buch, das an einem Einzelschicksal die Situation in Syrien aufzeigt. Wie z.B. der Roman «Die Verängstigten» von Dima Wannous oder «Der Tod ist ein mühseliges Geschäft» von Khaled Khalifa. Theurillat will die Entstehung und Entwicklung des Syrien-Konflikts zur Diskussion stellen. Interessant!
- Gegenwartskritik, mal anders. Theurillat klärt mich auf. Ich erfahre: Der Mensch ist ein Manipulator, der mit unterschiedlichen Methoden hantiert: mit undurchsichtiger Berichterstattung, Vereinfachungen, Schwarz-Weiss-Malerei und Spekulation. Die Wahrheit ist im postfaktischen Zeitalter gestorben: «Die Wahrheit - sofern sie sehr unwahrscheinlich erscheint - glaubt einem niemand. Sie ist besser als jede Lüge.» Das der letzte Satz aus «Lenz». Und den kann man auch andersrum verstehen: Die Lüge - sofern sie glaubwürdig erscheint - entlarvt niemand als Lüge. Sie ist besser als jede Wahrheit. Ratter - ratter...
- Zürich, mal anders. Wenn Kommissar Eschenbach durch Zürich flaniert, dann flaniere ich mit. Dann ist alles «Goosfraba» . Ich komme runter, werde ruhig. Spaziere gemütlich durch die Bahnhofstrasse, mache bei Sprüngli halt, gehe weiter zum Central, springe ins Polybähnli, rattere den Berg hinauf und schnuppere Uni-Luft. Und das tut guuuuuut. Trotz der vielen Zürcher Klischees, die Theurillat bedient.
Daumen runter
- Causa Ganser. Oha. Michael Theurillat legt in Sachen Syrien einer Protagonistin - teilweise wortgetreu - Aussagen des umstrittenen Historikers Daniele Ganser in den Mund. Aus dessen Buch «Illegale Kriege». Muss das sein? Klar: Fiktion ist Fiktion. Michael Theurillat ist da ganz frei. Aber gleichwohl bin ich irritiert. Geht es Theurillat um Provokation oder will er Ganser eine Plattform geben? Diese Frage hat mein Leseerlebnis getrübt. Anstatt Lesespass mit Eschenbach habe ich auch noch Gansers Buch gelesen und dann noch «Verschwörung!» von Roger Schawinski, eine Replik auf den TV-Eklat, als Ganser in der Arena aufgetreten ist. Daneben Unmengen von Medienberichten konsumiert Und am Ende bin ich so gescheit wie vor der Lektüre.
- Klischierte Figuren. Besonders die Beschreibung der Frau über 60 hat mich genervt. Die nur noch mit Kurzhaarschnitt herumläuft. Was übrigens gar kein Trend ist. Habe meine Coiffeuse gefragt. Und mir dann fröhlich, weil noch weit davon entfernt, meine langen Haare - Schnippel - zum kurzen Bob abschneiden lassen.
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Der Autor
Michael Theurillat, geboren 1961 in Basel, studierte Wirtschaftswissenschaften, Kunstgeschichte und Geschichte und arbeitete jahrelang im Bankgeschäft. Die Romane mit Kommissar Eschenbach gehören zu den beliebtesten Krimiserien der Schweiz. 2012 wurde «Rütlischwur» mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Michael Theurillat lebt mit seiner Familie in der Nähe von Zürich.
Das Buch: Michael Theurillat: «Lenz» (2018, Ullstein)
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